Bildhauer steht vor seinem Projekt

Nachgelesen. Von Vivien Catharina Altenau

CityGlow

3. November 2021

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„Alter, schreib mal was Fettes á la ‘Buddenbrooks’!“ – mit diesen Worten nahm das Drama, oder viel mehr die deutsch-kanadische Familiensaga ihren Lauf.  Besser noch: seinen Verlauf, denn der Autor Irmin Burdekat beschreibt in seinem Roman „Der Katholische Bahnhof“ in klug-gewitztem Ton, welche Irrungen und Wirrungen das Lebenstheater für all seine Schauspieler bereithält. Dabei geht es um die ganz großen Themen: Liebe, Versagen, Verlassen, Identität und eben auch: Fußball.

Passend zum diesjährigen Buchmessen Gastland Kanada, welches sich nach der Absage 2020, dieses Jahr nun endlich den deutsch und internationalen Bookies präsentieren darf, möchten wir euch ebenso ein wenig Literatur ans Herz legen.

Denn wer bei Kanada ausschließlich an Ahornsirup auf Pancakes, die Leidenschaft für Eishockey und Grislybären denkt, hat weit gefehlt. Dass die Kanadier durchaus auch Gegenwartsliteratur können, ist spätestens seit Magret Atwood klar, und doch gibt das Land so viel mehr her. Jocelyne Saucier (Ein Leben mehr/ Was dir bleibt), Yann Martel (Schiffbruch mit Tiger), außerdem die Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro mit ihren unendlichen Kurzgeschichten. Ach ja und natürlich nicht zu vergessen: All die Kriminalfälle von Inspector Armand Gamache, atmosphärisch in Szene gesetzt von Louise Penny. Die literarische Vielfalt ist so groß und weit wie das Land selbst, und genau deshalb auch so aufregend!

Und somit kommen wir zurück zu unserer heutigen Literatur-Empfehlung: „Der Katholische Bahnhof“ beweist als erster Roman der belletristischen Buchreihe, dass in Irmin Burdekat weitaus mehr als ein erfolgreicher Gastronom und Unternehmer steckt. Nach seinem autobiografischen Werk „Tisch 17 isn Arsch“ (tpk Verlag), welches Erfahrungen und Erlebnisse aus seinem Berufsleben rekapituliert, erschien außerdem in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Künstler Christian Pfaff ein Abenteuer Bericht über eine Kunst Expedition mitten in der Wildnis.

Mit „Der Katholische Bahnhof“ erscheint nun der erste fiktive Text des Schriftstellers, obgleich der gewiefte Lesende einige Parallelen zu realen Tatbeständen, Personen und Wesenszügen zu finden vermag. Dabei handelt es sich in diesem Buch um eine ausgesprochen gelungen arrangierte Geschichte, welche die Höhen und Tiefen diverser Biografien auf eine charmant-freche (ja diese Kombination funktioniert hier tatsächlich!) Art und Weise schildert und zeigt wie das Schicksal bestimmte Wege letztendlich doch immer wieder zusammenführt. 

Aber nun doch erst mal zur Handlung:

Ronald ist Pächter des „Katholischen Bahnhofs“, einer Kneipe, die er von seinem Vater übernommen hat. Seine ganze Aufmerksamkeit gilt dem Fußballclub Arminia Bielefeld, seinem Sohn Ché-Daniel, dem ständigen Streit mit seiner Ex und anhaltenden finanziellen Engpässen. Trotzdem textet er ab und zu seine eigene Hauszeitung (“Die Thekenschlampe”); zur Unterhaltung für seine Gäste. Und so kommt der Sohn seines Vermieters, Spross der Fabrikantenfamilie Pretorius, auf eine Idee und schanzt Ronald den Auftrag für eine Familien- und Firmensaga zu. So wird der Gastwirt zum Chronisten, der sich mit zunehmender Leidenschaft, Interesse und Energie in die Lebens- und Liebesgeschichte des „Jungen Fabrikanten Pretorius“ verbeißt: In Schulzeiten von allen auf Grund seines unerschöpflichen Reservoirs an Goethe Zitaten nur „Werther“ genannt verliebte sich in Marlene. Doch weil das junge Glück nicht in jeder Manns Augen als solches gewertet wurde, beginnt eine so kuriose wie bewegende Liebesgeschichte, die in Deutschland beginnt und sich Jahrzehnte später in Kanada fängt.
Die liebevoll und schonungslos ehrlich gezeichneten Figuren in Irmin Burdekats Roman begehren, werden getrennt, verrennen sich und landen am Ende wieder dort, wo sie losgelaufen sind. So kommt es, dass Ronald, der Chronist und Erzähler, von seiner eigenen Geschichte eingeholt wird. Er berichtet, interpretiert und dreht sich eigentlich doch nur um sich selbst. Bis ihm schließlich ganz plötzlich bewusst wird, dass er mitten in seiner eigenen Geschichte steckt. Die Handlungsstränge laufen nun ineinander, die Ereignisse überschlagen sich, das Erzählkonzept wird aufgelöst, da es über sich selbst hinauswächst und …. was lange Wehrtert, wird endlich …

– Schnulz du Kitsch? – Ja!, muss da aber auch rein.

Woher Irmin Burdekat seine Inspiration nimmt? Ganz einfach: Burdekat lebt nicht in vier sondern in acht Wänden von denen die Hälfte in Kanada veweilt, denn Burdekats Frau ist Kanadierin und so befindet sich nicht nur eines der 5 Kinder in Übersee, sondern ebendort steht auch die Hütte, in der nicht nur gelesen, sondern eben auch Musik gemacht und ganz viel gelesen wird. Bei Wind und Wetter liebt der Autor das Erleben von Natur abseits von jeglicher Zivilisation. Holz hacken, Kanu fahren, Schnee Schippen… der ganz normale Wahnsinn eben.

So, und nun fragst du dich, warum du dir diese Lektüre antun solltest? Na, weil wir neben dem kanadischen Bezug, dem Liebesgedöns und dem rasanten Handlungsverlauf in Literatur auch immer wieder ein wenig vom eigenen Leben im Fremden entdecken können. Die Charaktere überzeugen durch Tiefe und die Lebenswege sind kurios, dabei jedoch niemals realitätsfern. Irmin Burdekat gönnt uns endlich mal wieder eine Tüte Schadenfreude, bewahrt jedoch das Ansehen jeder seiner Figuren. Kurzum, zwischen Schelmenroman und Heldenepos, lässt sich eigentlich nur noch auf eines hinweisen: Ein grandioses Hörbuch! Und weil dem Sprecher Meik Spallek dieses Buch auf die Stimmbänder geschrieben zu sein scheint, kann sich auch der geneigte Hörer verführt fühlen, abseits vom Text mal wieder ein Hörbuch zu wagen. „Meik Spallek liest besser als ich schriebe, echt!“, witzelt Burdekat und grinst dabei fast so süffisant, wie man es sich von seinem Protagonisten Ronald vorstellen würde.

Wie viel Irmin im Buch steckt, bleibt ungewiss, klar ist aber: In gedruckt und Realität müssen wir uns mit einem Humor der speziellen Art abfinden. Und während wir hier über die Bedeutung der kanadischen Literatur philosophieren, sitzt der Autor vermutlich schon wieder an seinem hölzernen Schreibtisch in der Ferne und fabuliert an seinem nächsten „fetten Ding“. Zu freuen ist sich bereits auf „Die Lange Stille“ (tpk Verlag, März 2022), doch man munkelt, ein guter Gastwirt, wie der Burdekat einer ist, gehen niemals die Geschichten aus.

Credit: Vivien Catharina Altenau








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