Eine Kolumne von Louisa Noack
Jedes Jahr ist sie plötzlich da. Sie kommt ganz überraschend und egal, ob du Single oder in einer festen Beziehung bist – die Weihnachtszeit wird eine Herausforderung. Du schleppst dich von Advent zu Advent und läufst dennoch sehenden Auges in eine Katastrophe.
„Wir schenken uns dieses Jahr nichts.“ Wenn ich das höre, möchte ich Ohrfeigen verteilen. Sind wir doch mal ehrlich. Jeder freut sich über ein Geschenk, eine Aufmerksamkeit. Etwas, das zeigt: Ich habe mir Gedanken gemacht. Ob das viel Geld kosten muss? Nein. Ob man auf das zehnte Paar Anstandssocken verzichten kann? Ja. Nichts schenken. Das geht gar nicht. Denn das würde auch Zeit, Essen kochen und Baum schmücken miteinschließen. Also schenken wir uns doch zumindest eine schöne Zeit.
Aber das viel größere Problem ist doch das Drumherum. Mein Mann und ich habe erst letzte Woche über den Besuch bei Verwandten gesprochen. Nein, diskutiert. Denn es war schon kurz vorm Streit. Fahren wir zu deinen Eltern? Oder meiner Tante? Und nach kurzer Zeit haben wir uns angeschaut und festgestellt: Nein, das lohnt sich nicht. Hört sich sicher hart an. Es ist in den letzten Jahren aber immer mehr Stress als eine schöne Zeit gewesen. Zudem liegen fast tausend Kilometer zwischen den Verwandten und uns. Das Verhältnis ist an den anderen 364 Tagen eher kühl. Macht man sich da Weihnachten nicht nur vor? Heile Welt für 24 Stunden und dann das ganze Jahr wieder Schweigen im Wald? Und so wird es wohl passieren. Wir werden Weihnachten zu zweit unterm Baum sitzen. Hatte uns Corona vor drei und vor zwei Jahren mehr oder weniger dazu gezwungen, zu zweit die Lieder zu trällern, haben wir gelernt, es bewusst zu genießen. Glaubt ihr nicht? Ist aber so. Weihnachten, für andere, also, um anderen einen Gefallen zu tun und das ansonsten nur anstrengend ist, ist nicht mehr unseres. Und das Streitpotenzial nimmt rapide ab! Wirklich!
Wir freuen uns an dieser Stelle gemeinsam für diejenigen und mit denen, die ihre Familienmitglieder über alles lieben und backen, essen und trinken mit allen gemeinsam genießen können und willkommen sind.
Warum sorgt Weihnachten für Streit in der Beziehung? Die meisten Menschen streiten sich tatsächlich über die Organisation der Feiertage – wann fahren wir bitte zu wem? Und dann ist es natürlich auch die Zeit, wo man plötzlich mehr Zeit miteinander verbringt als sonst im Alltag. Und abschließend ist nicht klar, wer welche Aufgaben übernimmt und das zusätzlich für Zank sorgt. Natürlich wünscht sich jeder ein harmonisches Fest – aber es sind oft auch die Erwartungshaltungen, an denen es scheitert: Der Baum muss perfekt geschmückt sein, das Essen auf den Punkt, die Wohnung blitzblank und die Geschenke ein Volltreffer sein. Kann ja nur daneben gehen.
Viel schlimmer als für Paare ist die Weihnachtszeit aber für Singles. Ich kann mich noch an die vielen Weihnachten erinnern, wo ich mit dem Auto und „Driving Home for Christmas“ auf dem Weg in die Heimat war und wusste: Es wird eine Katastrophe. Natürlich ist es immer so, dass man sich irgendwie freut, mit allen Käuzchen und Freaks aus der Familie mal wieder zusammenzukommen. Aber nach 5 Stunden ist aus persönlicher Erfahrung der Punkt schon gekommen, an dem es auch schon wieder nervt. Blöderweise ist da grad erst das Kaffeetrinken geschafft. Und du sitzt da so allein und deine Cousine hat ihre Freundin mitgebracht und dein Bruder ist verlobt. Und Oma und Opa nehmen sich in den Arm – und fragen ganz besorgt: „Und bei dir?“ Ob du jemanden kennengelernt hast, wollen wir wissen. Ob du verkorkst bist, um endlich mal einen Partner zu finden? Ob du die komische Katzen-Frau wirst, die für immer allein bleibt – oder ob du einfach nur mitleidenswert bist? Das fragen wir DICH! Du armes Kind. Und dann hast du kalte Füße beim Einschlafen im Gästezimmer.
Warum fahren wir nun aber trotzdem zu Menschen, die uns eigentlich nicht wirklich guttun? Warum verletzen uns die Menschen, die uns doch eigentlich liebhaben sollen? Es fängt immer alles so schön an – „Wie schön, dass wir uns wiedersehen.“ Und dann folgen erste Sticheleien und Anspielungen, der Zoff schwebt im Raum und Erwachsene werden zu kleinen Kindern. Warum? Weil wir genau in dem Moment quasi wieder zu Kindern werden. Vati ist herrisch wie früher, Mutter weiß wie immer alles besser. Der Bruder nervt und die Cousine ist oberflächlich! Wir rutschen auch genau in die Rolle hinein, die wir in der Kindheit hatten und die uns vertraut ist, auch wenn es wehtut. Und zack, ganz schnell wird das getriggert, was uns schon als Kind frustriert hat. Vielleicht wurden die Leistungen schon früher nicht anerkannt und heute ist es das Desinteresse der Familie am neuen Job. Und auch wenn wir mit guten Vorsätzen in die Feiertage starten, verfallen wir doch wieder in die vertrauten Konfliktmuster.
Und noch etwas kommt hinzu: Feiertage wie Weihnachten haben ein sehr hohes Enttäuschungspotenzial. Denn wie schon gesagt, alles muss eigentlich toll sein, alle müssen glücklich sein, Harmonie, Freude, Liebe. Alles, wofür es sonst keine Zeit gibt, soll an diesen Tagen nachgeholt werden. Liebevolle Gesten, glückliche Gesichter. Einfach viel zu hohe Erwartungen, die in großer Enttäuschung umschlagen können. Spätestens am zweiten Tag, nachdem schon eine Menge „runtergeschluckt“ wurde, ein Auge zugedrückt wurde, platzt einem der Kragen. Gezwungene Harmonie wird zur brisanten Explosion.
Kann man sich vorbereiten, wappnen oder die Streitereien vermeiden? Ja. Entweder mache ich mir vorher klar, was mich „triggern“ wird und versucht, gelassener zu reagieren. Oder es wird klar kommuniziert, dass über bestimmte Themen nicht geredet werden soll. Oder aber: Man fährt einfach mal nicht hin. Das ist vollkommen ok. Auch wenn man dann im nächsten Jahr genau mit diesem Vorwurf höchstwahrscheinlich konfrontiert wird.
Louisa Noack
Journalistin I Moderatorin I Sprecherin