Junges Musikgenie aus Fernost verzückt Hamburger Musikfreunde
Hao Rao glänzt in der KAWAI-Konzertreihe in der Alfred Schnittke Akademie
Ein Musikabend für Genießer wurde neulich wieder in der Kawai Konzert-Reihe in der Alfred Schnittke Akademie in Hamburg-Altona präsentiert. Dieses Konzept mit Aufführungen von aufstrebenden jungen Musikern – die aber auch schon renommierte Preise gewonnen haben -, gibt es mittlerweile seit einigen Jahren in der Hansestadt und hat sich bei Klassik-Fans bestens etabliert. “Wir sind sehr glücklich über diese äußerst positive Entwicklung, denn dies ist unser Ziel: wir wollen zum einen junge, hochtalentierte Pianisten fördern, und zum anderen aber auch zeigen, welche Klasse in unseren Premium-Flügeln Kawai steckt”, so Anne-Sophie Desrez, Markenbotschafterin von Shigeru Kawai. An diesem Abend durfte sie sich wieder voll bestätigt fühlen, denn mit dem 21-jährigen Hao Rao lagen die Veranstalter des japanischen Instrumentenherstellers voll richtig.


Wohltuende Klangnebel zum Start
Mit zwei Auszügen aus Karol Szymanowskis Werk Métopes startete der junge Tastenmeister den Abend. “L’île des Sirènes” und “Nausicaa” sind beides Werke, die eine tiefe Innigkeit im Ausdruck wiedergeben und vom ausführenden Pianisten genau dieses absolute Hineinversinken erfordern. Nicht leicht macht es einem der Komponist dabei mit einer Trennung der harmonischen Kompaktheit und der eher leichtfüßigen Struktur. Ein großzügiger Einsatz von Trillern und Tremoli, sowie lang hingezogene Akkorde – bei einer ebenfalls als nicht leicht zu bezeichnenden Bedienung des Pedals – benötigen schon jemanden am Instrument, der diese Musik komplett versteht. Hao Rao kann man dieses Lob aussprechen, die in dichter Atmosphäre gut verpackten Melodien dringen bei ihm zauberhaft durch und verströmen einen angenehmen Klangnebel durch den Saal. In “Nausicaa” geht es thematisch um die Tochter des Königs der Phäaken, die für den schiffbrüchigen griechischen Helden Odysseus tanzt, als dieser aus einem Schlummer erwacht, nachdem er an einen Strand gespült worden war. Hier geht es sowohl mit den Emotionen als auch mit dem Tempo hin und her, nach einem sanften Beginn wird das Ganze ziemlich agil und steigert sich immer mehr. Eine wahre Herausforderung für alle Pianisten, die der junge Chinese bestens meistert. Ebenso hervorzuheben ist dabei die Glanzleistung des Instruments, der Shigeru Kawai macht alle Feinheiten sowie die voluminösen Klanggewitter exzellent mit.

Kristallisierte Harmonie, verschärftes Musikprofil – was will man mehr?
Der französische Komponist Maurice Ravel machte es zu seiner guten Tradition, dass er Klavierwerke, die er komponierte, später in seinen Ballett-Musiken verwendete. In “Valses nobles et sentimentales” geht er seiner Vorliebe für die Walzer von Franz Schubert nach. Mit viel Elan und Kraft geht es da zu, die sieben Tänze und ein Epilog entfalten sich in einer Abfolge von effizienten Gegenüberstellungen in Bezug auf Stimmung, Tempo und Dynamik. Auch der Rhythmus wird sogar variiert, der Walzer-Dreivierteltakt wird nicht durchgehend eingehalten. Ravel selbst sagte dazu, dass dieses Werk sich durch „eine deutlich klarere Schreibweise, die die Harmonie kristallisiert und das Profil der Musik schärft“ auszeichne. Wohl dem, der diese Absicht auch auf dem Instrument realisieren kann und Hao Rao kann dies.
Exzellenter Shigeru Kawai-Flügel ist genau das richtige Instrument für den Abend
Richtig anstrengend wurde es anschließend für Hao Rao bei Liszts 13. Ungarische Rhapsodie in der Bearbeitung von Arcadi Volodos. Denn dies ist für die Ausführenden eine technisch höchst anspruchsvolle Vorgabe, die eine subtile und gleichzeitig kräftige Umsetzung erfordert. Virtuosität ist hier angesagt und da kann Hao Rao schon einiges vorweisen, man hört deutlich den kommenden Meister durch. Im Vergleich zu dem davor gespielten Werk von Ravel ist diese Bearbeitung von Volodos durch den starken Fokus auf Klangfarben und technische Details zwar eher eine Kopf- und weniger eine Herz-Sache, die aber dennoch die Zuhörer nicht weniger fasziniert. Vor allem muss auch an dieser Stelle neben dem Künstler, dem hervorragenden Instrument von Shigeru Kawai, auch der Klavierstimmer Shinya Kurata, Kawai MPA, gelobt werden, der den Flügel bestens auf ein optimales Klangerlebnis eingestellt hatte. Von den intimsten Details der Komposition bis hin zu den stürmisch aufbrausenden Akkord-Donnern war alles haargenau und mit einer brillanten Akustik zu vernehmen.


Zum Finale: Chopin en masse
Frédéric Chopin ist ein Name, der bei allen Pianisten ganz oben auf der Liste steht, so auch bei Hao Rao. Er spielt an dem Abend in der Alfred Schnittke Akademie gleich fünf Werke des polnischen Komponisten: Nocturne in Es-Dur Nr. 2 Op. 55, Grande Valse brillante in Es-Dur Op. 18, Etude in gis-Moll Nr. 6 Op. 25, Fantasie in f-Moll Op. 49, Andante spianato und Grande Polonaise brillante in Es-Dur Op. 22. Chopin ist ebenfalls ein Meister der Emotionen, aber einer, der dies schon auf eine sehr moderne, gebrochen-ambivalente Weise präsentiert. Seine Werke verbreiten auf wundersame Weise das Herz mit ergreifend-angenehmen, beinahe lieblichen und gleichzeitig melancholischen Stimmungen. Die Es-Dur Nocturne op. 55 ist ein besonders prägnantes Beispiel dafür, mit einer Leichtigkeit umschwirren die Töne den Raum und haben dennoch eine gewisse Schwere in sich, die man als Hörer unbewusst gewahr wird. Der Grande Valse Brilliante ist neben der Komposition von Ravel ein weiterer Walzer an dem Abend, den zeitlichen Abstand der Kompositionen merkt man aber an. Während Ravel den Walzer quasi in seine Einzelteile zerlegt und wieder auf seine Art zusammenbaut, ist dieser bei Chopin – der rund drei Jahrzehnte früher gelebt hat – noch im Rhythmus vorhanden und gut hörbar. Die spezielle Leistung Chopins besteht darin, dass er den schwermütigen Charakter dieser 3/4-Takt-Musikform offenlegt. Hinter all der Fröhlichkeit steckt auch eine starke Portion Nachdenklichkeit. Bei dieser und allen anderen Werken von Chopin zeigt Hao Rao, dass er sich anscheinend viel mit dem Komponisten beschäftigt und dessen Musikphilosophie tief verinnerlicht hat und diese auch mit seinem großen Talent in sein Spiel übertragen kann.
Begeisterter Applaus des Publikums war der Lohn für die aufsehenerregende pianistische Leistung von Hao Rao, der sich damit in die Herzen der Hamburger gespielt hat.
Nächstes KAWAI-Konzert in der Alfred Schnittke Akademie ist am Sonntag, 30. November 2025. Es spielt die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete junge Pianistin Yungyung Guo.

Das ist Hao Rao
Hao erlangte internationale Anerkennung, als er im Alter von gerade 17 Jahren als Finalist und Preisträger des 18. internationalen Chopin-Klavierwettbewerbs 2021 ausgezeichnet wurde. Er ist bekannt für die „aristokratische und zeitlose Schönheit“ seiner Spielweise, wie es mal ein Rezensent formulierte. Mit der ihm eigenen, so selten zu findenden Mischung aus technischer Meisterschaft und poetischer Sensibilität hat Hao das Publikum weltweit in seinen Bann gezogen. Der 2004 geborene Hao begann sein Klavierstudium im Alter von 8 Jahren bei seiner derzeitigen Lehrerin Dr. Vivian Li, einer kanadisch-chinesischen Pianistin. Zurzeit studiert er im dritten Jahr Klavier am Xinghai Conservatory of Music, wo er unter ihrer Anleitung seine künstlerischen Fähigkeiten weiter verfeinert. Hao hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter die Bronzemedaille beim Gina Bachauer International Young Artists Competition (2021), den zweiten Preis beim e-Piano Junior Wettbewerb (2021), den dritten Preis beim Internationalen Zhuhai Mozart-Wettbewerb (2019) und den dritten Preis beim Internationalen Aarhus Klavierwettbewerb (2019).
Hao ist in über 50 Städten weltweit aufgetreten und hat Solo-Klavierabende und Konzerte mit Orchestern gegeben. Sein Debütalbum Chopin Recital, das bei NCPA Classics erschienen ist, gewann 2022 den Preis für das beste Klavieralbum in China. Zu den Höhepunkten seiner jungen Karriere zählen die Auftritte in der Victoria Concert Hall (Singapur), im Salle Cortot (Paris), in der Warschauer Philharmonie, in der Jordan Hall (Boston) und beim Chopin-Festival in Duszniki.
Text von Cetin Yaman
BU Titelbild:
Hao Rao (Mitte) begeisterte mit seiner Tastenkunst auch die anwesenden VIP-Gäste (v.l.): Eiko Hashimaru-Shigemitsu (Präsidentin der Deutsch-Japanischen Gesellschaft), Generalkonsul Antonio Correa (Chile), Tania Narvaez (Ex-Generalkonsulin Ekuador), Joachim Ulrich (Honorargeneralkonsul Costa Rica), Vivian Li (Managerin von Hao Rao), Songbao Jin (Stellvertretender Generalkonsul China), Shinya Kurata (Klavierstimmer Kawai), Ji Zhang (Konsul China) und Anne-Sophie Desrez, Markenbotschafterin von Shigeru Kawai © CETIN YAMAN/YPA







