Hamburgs China-Connection: Was macht die Seidenstraße?
Eine Reise nach Xinjiang, dem logistischen Herz der Belt and Road Initiative
Vor zwölf Jahren startete Chinas Projekt “neue Seidenstraße” (Belt and Road Initiative – BRI): eine Handelsroute quer durch die Welt über verschiedene Kontinente – und die Hansestadt Hamburg ist mit dabei. Wo steht die neue Seidenstraße heute im Jahre 2025? Das ist die Frage, der CITY GLOW-Reporter Cetin Yaman vor Ort in der nordwestlichen Provinz Xinjiang in China nachging und hier davon berichtet.
Ein Jahrhundert-Projekt mit weltweiten Auswirkungen – auch auf Deutschland
Chinas Staatschef Xi Jinping kündigte im Jahre 2013 an, die Infrastruktur und die wirtschaftlichen Beziehungen von China in Richtung Europa auf den Routen der traditionellen Seidenstraße auszubauen. Anfangs ging es nur um die Seeroute von China nach Italien. Inzwischen jedoch geht die “Neue Seidenstraße”, offiziell „Yi Dai Yi Lu” genannt, weit darüber hinaus. Sie beinhaltet mehrere Kontinente und Regionen, verläuft nach Europa, Afrika, Südamerika, Südostasien und sogar in die Arktis. Die Wege haben dabei die unterschiedlichsten Formen: Pipelines, Häfen, Autobahnen, Staudämme und Eisenbahnlinien. Investiert wurden seitdem riesige Beträge in Infrastrukturprojekte, die inzwischen die Billion-Dollar-Grenze überschritten haben. Hunderte von neuen “Belt-and-Road”-Projekten kommen weltweit jährlich hinzu, dazu zählen auch Energie- und Digitalisierungsprojekte. Bisher wurden im Zusammenhang mit der Neuen Seidenstraße Abkommen mit 140 Ländern und 32 internationalen Organisationen in Afrika, Asien, Europa, Nordamerika, im Pazifik und Lateinamerika unterzeichnet. Es ist eines der größten Wirtschafts- und Investitionsprojekte des 21. Jahrhunderts und hätte damit bei Vollendung Einfluss auf rund 4,5 Milliarden Menschen. Dies entspricht etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung oder 55 Prozent des weltweiten Bruttoinlandprodukts.

Ein massives Infrastruktur-Projekt, das auch die Geopolitik neu ordnet
Hinzu gekommen sind auch noch das „BRI Green Partnership“- und vor allem das „Digital Silk Road“-Projekt. Das Green Belt and Road Initiative Center (2021) plant und koordiniert Maßnahmen, um die Infrastrukturprojekte der Neuen Seidenstraße grün und nachhaltig zu realisieren. Die „Digital Silk Road“ (DSR) umfasst die Bereiche Glasfaserkabel und Telekommunikationsnetze, E-Commerce sowie mobiles Bezahlen. Genannt werden sollen an dieser Stelle auch die hinzu addierten „Health Silk Road“, „Space Silk Road“ und „Educational Silk Road“. 2018 gründete die chinesische Regierung die Xinjiang International Land Port (Group) Co., Ltd., um den Aufbau der Wirtschaftszone entlang der Seidenstraße zu beschleunigen. Seitdem hat dieser Trockenhafen Milliardeninvestitionen angezogen und sich schnell zu einem der wichtigsten multimodalen Knotenpunkte Asiens entwickelt, der China mit über 50 europäischen Städten und den aufstrebenden Märkten Zentralasiens verbindet. Im Zentrum dieses Wandels steht der Internationale Landhafen Ürümqi, eine Anlage, die weit über die Logistik hinausgeht: Sie ist ein Symbol für wirtschaftliche Zusammenarbeit und ein Katalysator für nachhaltige Entwicklung und regionale Integration. Aber es geht nicht nur um Fracht. Es ist ein wahrhaft intelligenter Hafen in der Wüste. Der Landhafen Ürümqi ist mehr als nur eine Logistikinfrastruktur: Er ist eine geopolitische Plattform. Mit über 260.000 m² intelligenten Lagerhallen, mit seinen Anlagen, Kühlkettenzentren, internationalen Passagierterminals, grenzüberschreitenden E-Commerce-Hubs und Agrar- und Lebensmittelvertriebsplattformen stellt der Landhafen ein Ökosystem dar, das vieles integriert. Das alles in einer Hightech-Umgebung, in der 5G und künstliche Intelligenz in der Logistik zum Einsatz kommen.

Was hat das mit Hamburg zu tun?
Hamburg ist mit seinem Hafen ein Teil der neuen Seidenstraße. Der Terminal-Betreiber „Hamburg Haven and Logistics AG“ schloss erst im vergangenen Jahr einen bedeutenden Deal mit dem chinesischen Hafenbetreiber „Cosco Shipping Ports Limited“ ab. Die ursprünglich angepeilte Beteiligung von 35% musste zwar auf 24,9% gesenkt werden – was letztlich auch einer Schmutzkampagne einer großen Boulevardzeitung zu verdanken war, die vor der offiziellen Veröffentlichung geheime Gutachter-Protokolle abdruckte und damit eine intensiv geführte, nicht mehr neutrale politische Debatte auslöste -, doch schmälert das die wegweisende Wirkung dieser Entscheidung nicht wesentlich. Das Container Terminal Tollerort (CTT), um den es geht, belegt zwar den kleinsten Flächenanteil aller Containerterminals im Hamburger Hafen, weist aber beeindruckende Geschäftszahlen auf. Seit jeher fungiert der Hamburger Hafen als logistische Drehscheibe für Hinterlandtransporte und Umschlagverkehr. Mit China gehandelte Güter werden in Hamburg zu ihrem endgültigen Bestimmungsort umgeschlagen oder von ihrem Ursprungsort über Hamburg nach China weitertransportiert. Nicht zuletzt aus dieser Sicht besitzt die Entwicklung der Neuen Seidenstraße auch für Hamburg eine große Bedeutung. In Deutschland ist übrigens neben der Hansestadt auch Duisburg ein wichtiger Knotenpunkt für den Güterverkehr zwischen China und Europa.

Wie sieht es im Herzen der Neuen Seidenstraßen aus? Hält die tatsächliche Entwicklung den Ankündigungen stand?
Ein Vor-Ort-Check in der nordwestchinesischen Provinz Xinjian offenbart die Dynamik dieser Region. Xinjiang ist das autonome Gebiet der muslimischen Uyguren (44% Bevölkerungsanteil in Xinjiang) in China, das aber auch von Han-Chinesen und weiteren über 50 ethnischen Gruppierungen wie Kasachen, Mongolen, Hui, Kirgisen, Mandschus, Xibe, Tadschiken, Dauren, Usbeken, Tataren und Russen besiedelt ist. Diese praktizieren als Religion unter anderem den Islam, Buddhismus, Taoismus, das Christentum, den Katholizismus und die orthodoxe Kirche. Die Provinz ist fast fünfmal so groß wie Deutschland und hat acht angrenzende Staaten aus Zentral- Süd- und Ostasien als Nachbarn. Hier treffen sich auf eindrucksvolle Weise Tradition und technische Innovation. Gleichzeitig hat die Provinz Xinjiang eine herausragende Stellung im modernen China, geht es doch um nichts weiter als um die Beibehaltung einer nationalen Harmonie und den Beweis, dass das Reich der Mitte ein Vielvölkerstaat sein kann, in dem sich auch Minderheiten wohlfühlen können. Die Neue Seidenstraße weist der Provinz eine herausragende Rolle als Drehscheibe des internationalen Handels zu. Die Hauptstadt Ürümqi spielt dabei als Mittelpunkt in der Provinz die zentrale Rolle, es bildet das strategische Logistik-Herz der Seidenstraße.

Hochmodern, aber auch verwurzelt in der Tradition: die Westprovinz Xinjian
Neben den wirtschaftlichen Aspekten, das heißt den riesigen Summen, die in die Entwicklung der Region investiert wurden, wird auch viel Wert auf das kulturelle Erbe und den kulturellen Austausch unter den Volksgruppen Wert gelegt. Die, wie fast alle Regionen Chinas, sich in hohem Tempo entwickelnde Provinz zeigt eindrucksvoll die Bemühungen des Staats, bei all den modernen und sogar futuristisch anmutenden Bestrebungen, die kulturell reiche Vergangenheit – auch in Xinjiang natürlich – nicht zu vergessen und beides miteinander zu verknüpfen. Besonders faszinierend ist das in Ürümqi selbst zu beobachten, das einerseits mit seinen sechsspurigen Schnellstraßen innerhalb der City – mit einer endlosen Anzahl an modernen SUV-Automobilen -, der Sklyine mit zahlreichen Wolkenkratzern und modernen Shopping Malls, westlichen Großstädten in nichts nachsteht. Andererseits trifft man Schritt auf Schritt auch auf original uigurische Traditionen, besonders hervorzuheben: der Grand Bazaar, der mit seinen vielfältigen, orientalisch anmutenden Geschäften das Herz jedes Touristen höher schlagen lässt.
Beeindruckend auch die Entwicklung der Bevölkerungszahlen in Ürümqi: noch Anfang der 1950er Jahre zählte man lediglich 100.000 Einwohner, im Jahre 2025 werden nun 5 Millionen erreicht. Unvergesslich in Erinnerung bleibt dabei auch die Stadt Kashgar, in der Nähe zu den zentralasiatischen Ländern Tadschikistan und Kirgisistan, die so weit entfernt von der Regionalhauptstadt Ürümqi gelegen ist, dass man die Reise am besten mit dem Flugzeug antritt. Hier findet man in der noch erhaltenen Altstadt historische Basare – darunter viele handwerkliche Betriebe wie Töpfer, Schmiede, Tischler, Hutschneider und vieles mehr. Ein Besuch der Gedenkstätte zur Erhaltung des städtischen Erbes, verdeutlichte die Maßnahmen zum Schutz der historischen Bausubstanz. Ein interessantes Erlebnis bildet auch ein Besuch der Donghu Community, ein multifunktionales Bürgerzentrum mit kommunalen Dienstleistungen. Täglich besuchen Hunderte von Menschen diesen Ort, der soziale Inklusion, interethnischen Dialog und umfassendes Wohlbefinden fördert. Eine zweisprachige Bibliothek mit Texten in Chinesisch und Uigurisch sowie Outdoor-Sportanlagen stärken die Rolle der Gemeinde als Ort des kulturellen Zusammenhalts zusätzlich, sogar Tanz- und Kalligraphie-Kurse sind dort kostenlos besuchbar.


Urumqi als attraktiver Industriestandort für die Automobilbranche
Der Automobilhersteller Guangdong Automobile Co. Ltd. Ist in Urumqi mit einer Produktionsstätte für seine Marke GAC vertreten. Yu Guanghui, Leiter der Managementabteilung und der Endmontage der Fertigungsabteilung von GAC Trumpchi Xinjiang Branch, einer Tochtergesellschaft von Guangdong, kann auf eine hochmoderne Fabrik verweisen, beispielhaft für den industriellen Wandel Xinjiangs. Die 2016 registrierte und seit 2017 in Betrieb genommene Anlage erstreckt sich über 330.000 m² und profitiert von einer Gesamtinvestition von 1,087 Milliarden Yuan. Das Werk kann jährlich 20.000 Fahrzeuge produzieren und montiert mittlerweile die gesamte Modellpalette von GAC Trumpchi. Zwischen 2018 und Juli 2023 wurden über 20.000 Fahrzeuge mit einem kumulierten Produktionswert von über 2,5 Milliarden Yuan gefertigt und verkauft. Bis heute wurden über 400 Arbeitsplätze geschaffen und fast 130 Millionen Yuan an lokalen Steuern gezahlt. Guanghui betont die technologische Dimension des Standorts: „Wir haben über 13 Millionen Yuan investiert, um unsere Anlagen zu modernisieren, intelligente Roboter zu integrieren und mehr als 30 Schlüsselpositionen zu digitalisieren. Diese Automatisierung garantiert eine qualitativ hochwertige Produktion und stärkt gleichzeitig unsere Wettbewerbsfähigkeit.“ Mit 14 Händlern in ganz Xinjiang und mehreren sekundären Verkaufsstellen setzt GAC Trumpchi seine lokale Expansion fort und ist gleichzeitig international ausgerichtet.


Innovation made in Xinjiang – Jiangguoguo
Die Wirtschaft in der Provinz entwickelt sich beeindruckend, vor allem hinsichtlich technischer Innovationen. Dies gilt für viele Bereiche, wie zum Beispiel in der Agrarwirtschaft. Guoguong Agricultural Technology Co. im Kreis Shufu setzt dabei Maßstäbe in der landwirtschaftlichen Verarbeitung. Jiang Linbo, Vizepräsident von Jiangguoguo, einem regionalen Vorzeigeunternehmen der Agrarindustrie, das sich der Entwicklung integrierter Agrarketten verschrieben hat, definiert die zukünftigen Ziele des erfolgreichen Unternehmens: „Kooperationen mit Ländern mit gleichen wirtschaftlichen Vorstellungen sind für uns von großem Interesse. Unser Ziel ist es, Synergiepotenziale zu identifizieren und eine Win-Win-Kooperation aufzubauen“. Jiangguoguo wurde vor etwa zehn Jahren gegründet und ist heute führend in der Verarbeitung lokaler Agrarprodukte, insbesondere Trockenfrüchten, Frischobst und Getränken. „Mit einem Umsatz von über 400 Millionen Yuan im letzten Jahr und einem Ziel von 450 Millionen für dieses Jahr bestätigt das Unternehmen die Solidität seiner Strategie“, sagt er. Das Unternehmen verfügt derzeit über drei Produktionslinien und setzt auf eine komplette Kette, die Einkauf, Verarbeitung, Produktion und Markenbetrieb integriert. Es beschäftigt über 500 Einwohner und schult jährlich 60.000 Landwirte, um die Produktion zu steigern. Das sei es, was Jiangguoguo wirklich auszeichnet, das „Partnerschaftsmodell mit lokalen Landwirten“, sagt Linbo. Indem das Unternehmen stabile Beschäftigungsmöglichkeiten für ländliche Genossenschaften schafft, hat es Tausenden von Familien geholfen, der Armut zu entkommen und gleichzeitig die landwirtschaftlichen Produktionsstandards zu verbessern. Jiang Linbo betont die grundlegende Rolle von Innovationen für die Wertschöpfung landwirtschaftlicher Produkte und legt dabei einen klaren Fokus auf Forschung und Entwicklung, Prozessstandardisierung und die Entwicklung funktioneller pflanzlicher Produkte, wie beispielsweise der Herstellung von Extrakten für die Biomedizin. Die genetische Verbesserung von Kultursorten mit Fokus auf Arten mit hohem kommerziellen Potenzial gehört zu den Prioritäten des Unternehmens, ebenso wie die Industrialisierung und Standardisierung von Produktionsmethoden, wobei Qualität und wissenschaftliche Forschung besondere Aufmerksamkeit erhalten. Gleichzeitig konzentriert sich das Unternehmen auf die Stärkung seiner Vertriebskanäle – sowohl physisch als auch digital –, um das Kundenerlebnis zu verbessern und die Nähe zu den Verbrauchern zu erhöhen. Jiangguoguo kann bereits auf mehrere erfolgreiche Exporterfahrungen zurückblicken und möchte sich nun in aufstrebenden und strategischen Märkten etablieren.


Religionen haben ihren festen Platz im Autonomen Gebiet
Im Herzen der antiken Stadt Kashgar – in der Nähe der Dawakun-Wüste, Teil der Taklamakan-Wüste ist – gilt die Idkah-Moschee (auch unter dem Namen Heytgah-Moschee geläufig) als eine der bedeutendsten islamischen Kultstätten Zentralasiens. Die 1442 von Saqsiz Mirza auf einem ehemaligen Friedhof gegründete Moschee wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach erweitert und restauriert und entwickelte sich zu einem Bezugspunkt für die uigurische Gemeinschaft und die gesamte Region. Auch heute spielt die Idkah-Moschee eine aktive Rolle im religiösen Leben der lokalen Bevölkerung und empfängt Gläubige zu täglichen Gebeten und wichtigen religiösen Feiertagen wie dem Fastenbrechen und dem Opferfest. Ihre spirituelle Funktion ist von einem tiefen symbolischen und kulturellen Wert geprägt und stellt ein lebendiges Zeugnis der Religionsgeschichte Xinjiangs dar. Die Idkah-Moschee hat im Laufe der Jahre eine zentrale Rolle im öffentlichen und religiösen Leben der Stadt Kashgar eingenommen und Elemente der Spiritualität, der kulturellen Identität und des historischen Gedächtnisses vereint. Die lokalen Behörden haben Restaurierungs- und Konservierungsprojekte an dem Gebäude gefördert und so sein architektonisches Erbe und seine symbolische Bedeutung aufgewertet. Der Ort stellt somit einen Treffpunkt zwischen Tradition und Gegenwart dar, einen Ort, an dem sich die religiöse Dimension mit der kulturellen und sozialen Dimension im Kontext des multikulturellen Zusammenlebens verbindet, das die gesamte Region kennzeichnet. Das Prinzip der Glaubensfreiheit ist in der chinesischen Verfassung verankert, und regelmäßige religiöse Aktivitäten sind gesetzlich geregelt. In der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang leben verschiedene Glaubensrichtungen nebeneinander, darunter Islam, Buddhismus, Christentum, Taoismus und Orthodoxie, die von zahlreichen ethnischen Gruppen praktiziert werden.

Wie löst man das Problem der Wasserknappheit? In Xinjiang fand man eine Lösung
Xinjiang liegt in Nordwestchina, einer Region mit einzigartigen klimatischen und geografischen Bedingungen, fruchtbarem Land und reichlich Wasserressourcen. In den letzten Jahren hat die chinesische Regierung Maßnahmen zur Förderung der landwirtschaftlichen Entwicklung in dieser Region ergriffen, was zur Entstehung von Agrarunternehmen geführt hat, die sich auf die Herstellung hochwertiger Produkte spezialisiert haben. Die Entwicklung der Landwirtschaft in Nordwestchina hat tatsächlich zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Armutsbekämpfung in der Region beigetragen. Agrarunternehmen haben zudem in die Aus- und Weiterbildung lokaler Landwirte investiert, was deren Produktivität und Lebensstandard verbessert hat. Dies wirkt sich positiv auf die lokale Wirtschaft aus. Trotz der erzielten Fortschritte steht dieser Teil Chinas auch vor Herausforderungen wie Wasserknappheit und Bodenerosion. Extreme Wetterbedingungen wie Sandstürme und Dürren können die landwirtschaftliche Produktion ebenfalls beeinträchtigen. Dennoch bietet die landwirtschaftliche Entwicklung in Nordwestchina vielversprechende Zukunftsaussichten. Xinjiang hat daher gute Chancen, sich zu einer bedeutenden Agrarregion Chinas zu entwickeln. Diesbezüglich gibt es eine bemerkenswerte Ausstellung mit dem Titel „Trink Wasser, denk an die Quelle“ in Jiashi. Dort wird erläutert, wie das Schmelzwasser der Kunlun- und Tianshan-Berge die Lebensader von Kashgar und Umgebung ist und trockene Wüsten in fruchtbares Ackerland verwandelt. Am Rande der Taklamakan-Wüste gelegen, war Jiashi in der Vergangenheit ein Synonym für Wasserknappheit und endemische Armut. Doch seit 2019 hat ein monumentales Projekt das Schicksal von 460.000 Einwohnern der autonomen Provinz der Volksrepublik China verändert: Ein über 1.800 Kilometer langes Wassersystem leitet nun dank eines komplexen Sammel- und Verteilungssystems Trinkwasser von den Gletschern des Muztagata-Berges direkt in die Dörfer. Das Wassersystem ist eine beispiellose technische Meisterleistung für die Region: 1.827 km Rohrleitungen, 112 km Hauptleitungen, 167 km interne Abzweige und ein 1.548 km langes Kapillarnetz, das 295 Dörfer versorgt. Eine Kläranlage wurde am Ostufer des Gaizi-Flusses errichtet und verfügt über Dekantierungs-, Filtrations- und Desinfektionsverfahren gemäß nationalen Standards. Seit 2020 haben damit über 460.000 Einwohner direkten Zugang zu Trinkwasser. Die Auswirkungen waren tiefgreifend und vielschichtig. Im Gesundheitsbereich sind die Krankheitsraten stark gesunken; in wirtschaftlicher Hinsicht hat die Verfügbarkeit von Wasser die Entstehung lokaler Agrar- und Handwerksbetriebe, darunter traditionelle Bäckereien und Melonenanbau-Betriebe, begünstigt. Neue Unternehmen haben stabile Arbeitsplätze geschaffen und die Landflucht reduziert. Im Umweltbereich hat die Schließung alter, kontaminierter Brunnen Grundwasserleiter geschützt und das ökologische Gleichgewicht verbessert.
Ganz oben auf der Besuchsliste: Musikmuseum mit Musikinstrumentenherstellung
Nicht verpassen sollte man das Xinjiang Ethnic Musical Instruments Village im Bezirk Shufu in Kashgar. Dieses Dorf ist bekannt für seine unvergleichliche Kunstfertigkeit im Bau traditioneller Musikinstrumente – Dutar, Trommeln und andere -, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Fesselnde, musikalische Darbietungen gehören zu den Höhepunkten dieses Museumsbesuchs. Die Darbietungen ihres außergewöhnlichen Könnens auf diesen Instrumenten, begleitet von lebendigen traditionellen Tänzen, ist ein wunderschöner Anblick und spiegelt eindrucksvoll die reichen künstlerischen Traditionen der Region und die Vitalität ihres kulturellen Ausdrucks wider. Hier ist Musik nicht nur Folklore, sondern kulturelles Engagement, alltägliche Spiritualität, kollektiver Stolz – und natürlich auch viel Freude am Musizieren.

Muqam-Kunst der Uiguren: Immaterielles Kulturerbe der Menschheit
Die Muqam-Kunst steht auf der Liste der Repräsentativen Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit steht. Der Reichtum der uigurischen Muqam-Kunst, die Gesang, Tanz, Volksmusik und klassische Musik vereint, wird in einem ganz frisch produzierten Musical am Xinjiang Muqam Art Theaters deutlich. Darin handelt es sich um eine traditionelle Musik- und Tanzaufführung, die die Geschichte und Traditionen des uigurischen Volkes auf spannende und unterhaltsame Weise erzählt. Mehrere Künstlergruppen präsentieren verschiedene Ausdrucksformen wie Akrobatik und Schlagzeug. Die Geschichte handelt davon, Grenzen zu überwinden und interkulturelles Verständnis zu fördern. Es ist hervorzuheben, dass sich in der uigurischen Muqam-Kunst in Xinjiang, China, vier regionale Hauptstile entwickelt haben: die Zwölf Muqams, den Dolan Muqam, den Turpan Muqam und den Hami Muqam. Jeder Stil hat seine eigenen Merkmale. In diesem Theater finden regelmäßig Aufführungen von Tänzern aus Kasachstan, Usbekistan und lokalen Talenten statt, was den Reichtum der internationalen kulturellen Zusammenarbeit verdeutlichtund der Gemeinde in der Autonomen Region ein außergewöhnliches kulturelles Erlebnis bietet. „Wir hoffen, dass dieses Musical für die Besucher eine Erfahrung sein wird, die dazu beiträgt, das Verständnis und die Wertschätzung der uigurischen Kultur und deren harmonische Einbindung in das Dach des chinesischen Staates weltweit zu fördern“, sagt Chen Wei, Operndirektor und Professor am Chinesischen Musikkonservatorium.

45 Grad und mehr in Turpan, dennoch: China lässt auch die Wüste nicht ungenutzt
Die Provinz Xinjiang spielt inzwischen auch in Sachen bedeutender technologischer und industrieller Komponenten national und international ganz oben mit. Unternehmen aus den Bereichen Biotechnologie, Agrartechnik (Jianguoguo Agricultural Technology Company, Feigenplantagen in Yuepuhu) und Automobilindustrie (GAC) und der Xiyuchun-Molkereigenossenschaft setzen auf Innovation und sind damit äußerst erfolgreich. Die Entwicklung von Salzwasser-tolerantem Reis, an Wüstengebiete angepasste Fahrzeug-Inspektionssysteme – das gibt es exklusiv in der Wüstenstadt Turpan – und die Robotisierung von Textilproduktionslinien verdeutlichen Xinjiangs Aufstieg in Chinas nationaler Wertschöpfungskette. Turpan ist ein ehemaliger Karawanenplatz hat sich zu einem wichtigen kulturellen und touristischen Zentrum entwickelt und liegt am Fuße der Flammenden Berge. Die 700.000 Einwohnerstadt befindet sich in der Turpan-Senke und liegt bis zu 150 Meter unter dem Meeresspiegel. Hier werden Temperaturen von bis zu 45 Grad erreicht – genau richtig für die China Communication Flaming Mountain Automobile Examination Co. Ltd, einer Automobilprüfanlage, die von nahezu allen Weltmarken, angefangen Volkswagen über Tesla bis BYD, als Teststrecke für ihre neuen Modelle verwendet wird. Ein 25 Kilometer langer Abschnitt wurde als vorrangiges Testgelände für die Entwicklung des nationalen autonomen Transportsystems auf wichtigen Autobahnen ausgewählt. Flugtaxis werden da ebenfalls schon unter klimatischen Extrembedingungen getestet. Dank seines trockenen und extrem heißen Klimas entwickelt sich Turpan auch zu einem einzigartigen Labor für die Leichtluftfahrt. Es wird ein Start- und Landeplatz in geringer Höhe entwickelt, um Tests zur Flugsicherheit in extremen Umgebungen, Materialfestigkeit, Stabilität des Antriebssystems und Batteriehaltbarkeit durchzuführen. Bei dem Projekt „Kunlun Laboratory Experimental Site“ handelt es sich darum, raue klimatische Bedingungen der Region auszunutzen, um Tests mit Drohnen, humanoiden Robotern, autonomen Bergbaufahrzeugen und verschiedenen unbemannten Geräten durchzuführen. Dieses Projekt, das eng mit dem Huoyanshan Automotive Testing Center verbunden ist, sieht die Strukturierung von „drei Zonen und drei Zentren“ vor: eine Zone für technologische Innovation, eine Pilotzone für Industrialisierung, eine Zone für die Anwendung und Verbreitung von Ergebnissen sowie ein Testzentrum, ein Zentrum für groß angelegte Prototypenentwicklung und ein Zertifizierungs- und Validierungszentrum. Ziel ist es, Turpan zu einer treibenden Kraft für Chinas neue qualitative Produktivität zu machen – ein Schlüsselbegriff für hochtechnologische Produktivkräfte in den strategischen Plänen der Zentralregierung. Turpan mit seinen trockenen Wüstenlandschaften gilt als wahres Testfeld für Chinas Zukunft, in dem intelligente Infrastruktur, aufstrebende Luftmobilität und fortschrittliche Robotik miteinander verschmelzen. Eine ehrgeizige Vision, die auf konkreten Lösungen basiert und der nationalen und globalen Logistiktransformation dient.
Ebenfalls in Turpan zuhause: die Xinjiang Jiumulin Bio-tech Co. Ltd, ein auf Pflanzenextrakte und natürliche pharmazeutische Anwendungen spezialisiertes Unternehmen. Und natürlich nicht zu vergessen, was die Region um Turpan noch alles biete: alte Geisterstädten, die mit jahrtausendealtem Sand bedeckt sind, geschäftige Basare bis hin zu modernen Weinfabriken – diese Wüstenoase bietet eine einzigartige kulturelle Reise. Die bei Anbruch der Dunkelheit stimmungsvoll beleuchtete antike Stadt Jiaohe sowie die berühmten Yarlu-Höhlen lassen auch das Thema Spiritualität in dieser Grenzregion nicht aus.


Wein aus Turpan – so gut kann Wüste schmecken
Versteckt am Fuße des Flammenbergs im Turpan-Becken in Xinjiang liegt das Weingut Yimao. Es ist eine moderne Anlage der Turpan Yimao Investment Co., Ltd., die modernste Technologie mit der alten Weinbautradition der Region verbindet. Das 2017 mit einer Gesamtinvestition von 250 Millionen Yuan gegründete Weingut erstreckt sich über 10.000 Quadratmeter und ist seit 2018 in Betrieb. Es verfügt über modernste italienische Ausrüstung, 800 importierte französische Eichenfässer und ein temperatur-kontrolliertes System zur Sicherung der Weinqualität. Yimao stellt trockene Rotweine, spritzige Weißweine, Brandy und andere geschmeidige Weine her und produziert derzeit rund 500 Tonnen Wein pro Jahr. Der Weißwein erweist sich als spritzig und erfrischend, mit subtilen Fruchtnoten und einem weichen, ausgewogenen Abgang. Der Rotwein hingegen ist reichhaltig und charaktervoll, mit warmen Beerennoten, einem Hauch von Eiche und einem samtigen Abgang, der einen herben und angenehmen Geschmack erzeugt.

Traditionelle Chinesische Medizin: eine echte Alternative zur Schulmedizin
Gemeinde- und Gesundheitszentren in sanierten Stadtteilen zeigen die gewünschte Verbindung zwischen wirtschaftlicher Entwicklung, sozialer Stabilität und religiöser Aufsicht, die gemäß dem von den chinesischen Behörden geförderten Modell erzielt werden soll. Im Präfektur-Krankenhaus für Traditionelle Chinesische Medizin in Kashi kann man die Geheimnisse dieser jahrtausendealten – und in den letzten Jahrzehnten wiederentdeckten Heilkunst – näher kennenlernen. Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) basiert auf einem ganzheitlichen Gesundheitsansatz, der nicht nur körperliche Symptome, sondern auch die emotionalen, spirituellen und umweltbedingten Aspekte des Einzelnen berücksichtigt. TCM-Praktiker wenden verschiedene Techniken an, darunter Akupunktur, Heilkräuter, Massage- und Meditationsübungen, Dekokt, Schröpfen, Moxibustion und Redcord-Suspension. Diese Therapien dienen der Erhaltung der Gesundheit und der Behandlung verschiedener Krankheiten nach den Prinzipien der Traditionellen Chinesischen Medizin. Sie helfen Patienten auch, ihr Gleichgewicht und ihre Gesundheit wiederzuerlangen. Zur chinesischen Medizin gehören vor allem Kräuterheilkunde, Tierheilkunde und Mineralheilkunde. Doch handelt es sich bei der Traditionellen Chinesische Medizin nicht nur um eine Heilkunde, sie ist auch ein integraler Bestandteil chinesischer Kultur und Identität. Das wird auch in den Statistiken deutlich: mehr als 70 % der Chinesen wenden die Praktiken der traditionellen Medizin an.


Auch das muss man wissen: Die große politische Krise von 2009 wurde überstanden
Ab Beginn des Jahrtausends setzte der chinesische Staat Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung ein: Mit dem Programm zur „Großen Entwicklung des Westens“ pumpte die Regierung viele Investitionen in große Infrastrukturprojekte wie Eisenbahnen und Überlandstraßen, um die Region in der Entwicklung noch weiter voranzutreiben. Im Sommer 2009 erlebte Urumqi dennoch einen Sommer der Gewalt. Eine zunächst friedliche Kundgebung mit zwei uigurischen Todesopfern in der südostchinesischen Provinz Guangdong eskalierte in Ausschreitungen, bei denen nach offiziellen chinesischen Angaben 197 Personen getötet und 1.700 verletzt wurden, in der Mehrzahl Han-Chinesen. Weitere Anschläge folgten in den nächsten Jahren, bis die chinesische Regierung zu umfassenden Maßnahmen griff. Eine Welle von Verhaftungen wurde ergänzt um neue Fördermaßnahmen für die Regionalwirtschaft. Es ist davon auszugehen, dass extremistische Gruppierungen wie al-Kaida oder „Islamischer Staat“ Inspiration für radikale Einzeltäter oder Kleingruppen boten, die ab 2013 zu Terroranschlägen auf zivile Ziele übergingen. Mit der Zeit wirkten jedoch die ergriffenen Gegenmaßnahmen und seit dem Jahre 2016 wurden nach offiziellen Angaben fast keine Terroranschläge mehr registriert. Dies alles kann eindrucksvoll in einer speziellen, sehr intensiven Ausstellung Xinjiang Counter-Terrorism und De-Radicalisation im International Conference and Exhibition Center studiert werden.


Fazit: Konzept der Neuen Seidenstraße funktioniert
Diese westchinesische Region, die lange Zeit im Zentrum kontroverser Diskussionen stand, zeigt heute ein völlig anderes Gesicht: das eines Gebiets im rasanten Wandel, das seiner kulturellen Identität verpflichtet ist und sich gleichzeitig einer inklusiven und ausgewogenen Entwicklung öffnet. Xinjiang hat sich prächtig entwickelt und das sind auch gute Nachrichten für Hamburg. Xinjiang bildet wie erläutert das logistische Zentrum der Neuen Seidenstraße und und an dem Aufstieg Xinjíangs lässt sich ablesen, dass das Konzept der Belt and Road-Initiative offensichtlich zu positiven Resultaten führt.

Text von Cetin Yaman