Yungyung Guo glänzt auf Kawai-Konzert in Alfred Schnittke Akademie
Asketischer Mozart trifft auf dämonischen Ligeti
Die Komposition am Ende der ersten Hälfte des Abends – obwohl mit etwa 6 Minuten Länge insgesamt nur knapp 7 Prozent des Konzerts ausmachend – dominierte musikalisch und auch in den Gesprächen der Gäste die Themen. Denn György Ligetis Étude Nr. 13 „L’escalier du diable“ ist nicht nur ein technisch äußerst virtuoses Stück, sondern stellt die Interpreten vor die schwierige Frage, wie man eine Mischung aus feurig-wilder Energie, aber auch Lebensverdrossenheit und klanglicher Differenziertheit am besten auf die Tasten bringt. Die Künstlerin der Aufführung, die junge Chinesin Yungyung Guo, meisterte diese Anforderung nach extremer pianistischer Präzision, rhythmischer Stabilität und Ausdruckskraft mit Bravour. Ligetis hastig aufsteigendes Stück spiegelt die mathematische „Teufelstreppe“-Funktion wider, die eine ständige Bewegung beschreibt, ohne jemals ein Ziel zu erreichen. Auch seine Komposition basiert auf chromatischen Mustern, die sich in immer höhere Register schrauben. Nicht zuletzt deswegen wird es in der Fachwelt auch gern als akustische Entsprechung von Maurits Eschers unmöglichen Architekturen interpretiert, bei denen eine aufsteigende Linie nie an Höhe gewinnt. Nach diesen furiosen 347 Sekunden hatten sich die Besucher die Pause wahrlich verdient.


Mozart mal ganz pur
Zuvor war allerdings weniger experimentierfreudigere Kost angesagt. Den Anfang des Konzerts bildeten Mozarts Andante in F Major, K. 616 und seine Piano Sonata No. 1 in C Major, K. 279. Bemerkenswert an der Interpretation des ersten Stücks durch Yungyung Guo ist der pointierte, gelegentlich fast staccatoartige, etwas trockene Vortrag, mit dem sie Mozart angenehm entkitscht und entzuckert, so einen asketischen Mozart möchte man gern häufiger hören. Etwas lieblicher ist danach die Piano Sonata des Salzburger Genies, da kommen auch Hörer auf ihre Kosten, die ihren Mozart gern auf die traditionelle Art hören. Positiv hervorzuheben ist die Kontrolle, die Guo über ihr exzellentes Instrument, dem Premiumflügel SK-EX von Shigeru Kawai, besitzt. Das Spitzengerät mit fast drei Metern Länge könnte von weniger feinfühligeren Musikern leicht dazu missbraucht werden, einen übermäßigen Wall-of-Sound zu kreieren und – gerade in kleineren Sälen wie in der Alfred Schnittke Akademie – den Klang mitsamt der Komposition buchstäblich totzuschlagen. Doch diese Gefahr besteht bei Yungyung nicht, sie und ihr Flügel verstehen sich prächtig.


Segelboote, Himmel, Sonne – alles da beim Impressionisten Dupont
Gabriel Dupont war ein Zeitgenosse Claude Debussys und starb früh an Tuberkulose. Sein musikalisches Vermächtnis ist aber dennoch beeindruckend und sollte unbedingt mehr Beachtung finden. Umso schöner also, dass Yungyung Guo genau dies getan hat und diesen oft übersehenen Komponisten an dem Abend in Hamburg-Altona präsentierte. Dessen letzter Klavierzyklus „La maison dans les dunes“ entstanden 1909, war gleichzeitig der Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens. Licht und Hoffnung durchdringen diesen Zyklus, die Musik ist dramatisch, verspielt, bewegt und berührend. Der Komponist nutzt dafür eine reiche chromatische Harmonik, um impressionistische und symbolische Darstellungen von Segelbooten, dem wechselnden Wetter, dem Himmel, dem Wind in den Bäumen und dem Sonnenlicht zu zeichnen. Das Werk wird mit großem Gespür für Atmosphäre von der chinesischen Pianistin Yungyung Guo gespielt. Es ist immer wieder erstaunlich, wie modern die Impressionisten noch heute wirken. Dazu benötigt es aber eines exzellenten Vortrags mit einer hervorragenden Dynamik damit es sich entsprechend entfalten kann und an dem Abend ist dies der Fall. Das Werk klingt wie vorweggenommene Filmmusik des 21. Jahrhunderts und das Luxus-Instrument Shigeru Kawai SK-EX präsentiert sich wie ein ganzes Orchester mit einer enormen Klangfülle. Ein überwältigender Klang, warm und voluminös, die Töne kommen perlend im Saal an, ein tolles musikalisches Erlebnis.


Sensible Fingertechnik sehr nützlich bei komplexen Arpeggien
Maurice Ravels „Ondine“ (aus “Gaspard de la nuit“) für Klavier hebt die anspruchsvollen, fließenden Klangfarben hervor. Für den Interpreten heißt dies, dass auf eine feine Farbgebung, rhythmische Präzision und eine einfühlsam präsentierte Atmosphäre geachtet werden muss. Technische Meisterschaft hat man dann erreicht, wenn die exakte Platzierung und Gewichtung jeder einzelnen Note korrekt gelingt. Guo geht dies mit einer sensiblen Fingertechnik an und verstärkt dadurch die Anmut von Online. Ebenso zeigt sie starke Melodielinien und eine gewisse Nachdenklichkeit, die das Gesamtstimmungsbild facettenreich gestaltet. Die in dem Stück vorkommenden komplexen Arpeggien und die schnellen, sich kreuzenden werden von ihr gemeistert.

Zwischendurch zwei Minuten romantischer Zauber
Auch Filmmusik hatte die in Hongkong geborene und in Shanghai studierende Yungyung Guo mitgebracht. „Warum sind die Blumen so rot?/Hua Er Wei Shen Mo Zhe Yang Hong?) ist ein bekanntes chinesisches Liebeslied aus dem Film „Besucher auf dem Eisberg“ (Bing Shan Shang De Lai Ke) von 1963. Es wurde von Lei Zhenbang nach einem tadschikischen Volkslied namens „Gulbita“ komponiert und von Zhang Lie arrangiert. Das Lied drückt tiefe, schmerzliche Zuneigung aus. In dem Text wird die Metapher der roten Blumen verwendet, um die Schönheit, Intensität und auch die Opferbereitschaft der Liebe darzustellen. Das Stück ist für seine emotionale Tiefe bekannt und genau das kam auch in der begeisternden Piano-Interpretation der 21-Jährigen rüber. Zwar nur knapp über zwei Minuten lang, fesselt einen die Komposition durch seinen romantischen Zauber. Die Platzierung dieses Liedes vor der dämonischen Komposition von Ligeti war eine programmlich sehr gut gelungene Aktion der Pianistin.


Gespür für Dynamik macht aus Schuberts Klaviersonate ein großes Erlebnis
Nach der Pause war nur noch ein Werk angesagt, aber dafür ein sehr gewichtiges. Ein der bedeutendsten Klaviersonate von Franz Schuberts ist gleichzeitig seine letzte: die Sonate in B-Dur D 960. Allgemein gilt sie als absolutes Meisterwerk der Spätromantik und zeichnet sich durch ihre enorme emotionale Tiefe mit meditativen Momenten und sehr weitläufigen Sätzen aus. Die Tiefe und Struktur des Werkes einzufangen, ist dabei eine der Vorgaben an die Interpreten. Da das Werk unterschiedliche Facetten aufweist und die Pianisten sich auf unterschiedliche Teilaspekte konzentrieren, kann man diese Komposition von Schubert aus der Perspektive von sehr unterschiedlichen Gemütslagen vorgespielt bekommen. Da ist von Intensität, emotionaler Wucht über lyrische Qualität, subtile Phrasierung bis hin zu “klaren, ideologiefreien” Interpretationen ziemlich viel an Möglichkeiten geboten. Yungyung Guo entscheidet sich auch hier, wie eingangs beim ersten Mozart-Werk, für eine eher nüchterne Herangehensweise und nimmt jegliche übertriebene Lieblichkeit heraus. Der SK-EX ist ihr dabei sehr behilflich, ist es doch eine nahezu wundersame Klangmaschine, die – bei entsprechender Beherrschung – Töne mit sattem Klang wie Glasperlen zu produzieren vermag. Die Mozart’schen Anleihen von Schubert sind hier nicht zu überhören, auch der gute Beethoven schimmert hier und da durch. Guo spielt auch hier, wie den gesamten Abend durch äußerst sauber und mit sehr fortgeschrittener exzellenter Technik, ihr Gespür für Dynamik und Lautstärkeverhältnisse sind ein nicht zu unterschätzender Vorteil in ihrem Vortrag.

Hamburg sah einen kommenden Klassik-Star
Fazit: Hamburg hat an dem Abend in der Alfred Schnittke Akademie ganz sicher eines der ganz großen Piano-Talente unserer heutigen Zeit gesehen. Yungyung Guo muss zu den Musikerinnen gezählt werden, die in wenigen Jahren ganz oben mitspielen werden – also, das nächste Mal vielleicht in der Elbphilharmonie? Der donnernde Applaus am Ende des Konzerts war schon mehr als ein Fingerzeig darauf, dass dies so kommen könnte.

Im Anschluss unterhielt sich CITY GLOW mit der Markenbotschafterin von Shigeru Kawai, Anne-Sophie Desrez.
CG: Hallo liebe Anne-Sophie, wie ist Ihr allgemeiner Eindruck von dem Abend?
ASD: Die Kawai Konzertserie steht für qualitativ hochwertigen Musikgenuss und dies wurde heute Abend wieder einmal eindrucksvoll bewiesen. Es war ein inspirierender Klavierabend mit der hochtalentierten Pianistin Yungyung Guo. Außerdem durften wir ganz besondere Ehrengäste (siehe Fotos) willkommen heißen.
CG: Wie hat Ihnen persönlich die pianistische Leistung von Yungyung Guo gefallen?
ASD: Sie begeisterte mit Ihrem eleganten Spiel das Publikum im ausgebuchten Konzertsaal der Alfred Schnittke Akademie Hamburg. Das hohe pianistische und musikalische Niveau von Yungyung Guo war einfach beeindruckend. Sie hat bewiesen, dass sie zu den Rising Stars gehört und wir mit ihr definitiv die richtige Wahl getroffen haben.
CG: Was würden Sie an der Aufführung von Yungyung Guo besonders hervorheben wollen?
ASD: Die Auswahl und Reihenfolge der Stücke waren besonders gelungen. Der Kontrast am Ende der ersten Hälfte zwischen Ligetis „Teufelstreppe“ und den ersten fünf Werken war eindrucksvoll. Der treibende, perkussive Rhythmus bei “L’escalier du diable” hämmert die höchsten Töne heraus, die Melodie wird angedeutet, die Töne verklingen und tauchen dann wieder auf. Yungyung Guo variierte gekonnt die Tempi und erzeugte so Momente intensiver Emotionalität. Ligetis Musik ist nicht jedermanns Sache, aber hier ist sie ein wahres Meisterwerk. Dann spielte sie nach der Pause Schuberts großartige Klaviersonate Nr. 21 in B-Dur. Die Sonate in B-Dur D 960 zählt zu den großen Wundern der Klavierliteratur: Tief melancholisch und voller verstörender Momente ist sie eine Herausforderung für Interpreten. Dieser Aufgabe zeigte sie sich gewachsen. Und: Yungyung Guo konnte die gesamte Klangpalette und Ausdruckskraft des Shigeru Kawai SK-EX (278 cm) Konzertflügels präsentieren. Es war ein Genuß für die Zuhörer.
CG: Vielen Dank für das Gespräch und die Möglichkeit, heute Abend in Hamburg mit Yungyung Guo so ein vielversprechendes Piano-Talent gehört haben zu dürfen.
Text von CityGlow Reporter Cetin Yaman
BU Titelbild:
In der Alfred Schnittke Akademie hatten sich zu dem KAWAI-Konzert wieder einige hochklassige Mitglieder der Hamburger Society eingefunden (v.l.): Labinot Gucati (Konsul Kosovo), Mizbah Mustafa (Generalkonsul im Dienst, Kosovo), Dr. Rosa Vásquez (Generalkonsulin Ekuador), Dr. Denis Rogov (Generalkonsul Kasachstan), Wang Ziyang (Konsulin China), Dr. Rüdiger Ackermann (Honorarkonsul St. Vincent und Grenadinen), Anne-Sophie Desrez (Kawai Europa), Songbao Jin (Vizegeneralkonsul China), Pianistin Yungyung Guo, Corinna Nienstedt (Leiterin Staatsamt in der Senatskanzlei) und Henning Schumann (Stadtpräsident Lübeck) © CETIN YAMAN/YPA









