Junikäfer, Junimond, der Frühsommer lockt uns aus dem Haus und es könnte gar nicht schöner sein.
Spätestens wenn der 1. Juni an die Tür klopft, wird es Zeit, den Sommerurlaub festzuzurren – zumindest in Gedanken. Wo treibt es uns dieses Jahr wohl hin? Was gibt es nicht alles zu entdecken! So viele tausend Fleckchen Erde! Ist es die raue Nordsee? Oder doch der Süden? Ein Trendziel oder ein Geheimtipp? Egal! Nach dem Urlaib hat jeder was zu erzählen.
Eine Freundin erzählte mir letztens allerdings, was beim letzten Kurztrip alles schief gegangen ist – von Flugverspätung über Wasserschaden im Hotelzimmer, Rucksack geklaut und Erkältung durch die Klimaanlage. Da ist mir die Lust auf Reisen gleich wieder vergangen.
Macht man ja aber trotzdem. Und wenn man den Stress der Hinreise überstanden hat, ist es ja im Normalfall wirklich schön. Einfach mal die Seele baumeln lassen! Zeit haben. Außer Sie haben eine Ferienwohnung gebucht und müssen trotzdem Frühstück machen, weil Sie es diesmal etwas einfacher und oder günstiger halten wollten. Ich habe für mich entschieden: Ferienwohnung gut und schön. Aber aufwaschen und putzen im Urlaub? Ich weiß nicht… Ist ja auch irgendwie selbst gemachtes Leid. Andererseits ist ein Hotelzimmer so steril! Wird zwar geputzt und Frühstück steht unten schon bereit, aber wohnlich ist natürlich auch anders. Bleibt das Reisen mit dem Camper oder dem Wohnmobil. Aber da habe ich auch Vorbehalte. Mit dem eigenen Abwasser durch die Gegend fahren finde ich nicht so schön. Aber Sie merken schon – mir kann man es wahrscheinlich nicht recht machen. Ein typischer Fall von chronischer Unzufriedenheit. Und da kann man laut Experten auch mal in ein Burnout oder sogar in eine Depression rutschen.
Auch nicht schön: Burnout durch Freizeitstress.
Freizeitstress ist ja auch wieder so im Kommen! Ich dachte, nach einer Pandemie mit Ausgeh-Verbot habe sich das ein bisschen gebessert. Damals konnte man ja fast gar nichts unternehmen – und ehrlich gesagt tat das (eine Zeit lang zumindest) richtig gut. Gab halt Nichts zu erleben. Keine Konzerte, keine Clubs, kein Dies, Das oder Dings-Sachen. Einfach mal Nichts machen. Irgendwie auch mal ganz nett, oder? Aber jetzt hält der Freizeitstress, der so genannte Sozialstress, wieder Einzug in die Köpfe. Nichts verpassen, dorthin und dahin, den treffen und mit denen noch das erleben. Wer nicht dabei war, war eben nicht dabei! Selbst schuld, wenn man nichts unternimmt. Erst essen gehen, dann zur Ausstellung, dann ins Kino. Später am Abend in die neue Bar. Da gibt es schließlich einen Begrüßungs-Cocktail. Und so haben wir nicht nur den Stress auf der Arbeit – sondern eben auch in der Freizeit.
Vielleicht haben Sie vom Fachbegriff dazu schon mal gehört: FOMO – die „Fear of missing out“ – also die Angst, etwas zu verpassen. Ich hab immer gedacht, dass mir das nicht passiert! Na gut, ich dachte auch, dass ich niemals zu viele Schuhe haben könnte! Aber halt! Kann man zu viele Schuhe haben? Oder braucht es nicht doch zu jedem Outfit einfach wirklich den passenden Schuh? Na gut… weiter zur FOMO. Ich hab wirklich gedacht, dass mich die FOMO nicht erwischt. Und jetzt ertappe ich mich dabei, wie ich den Kalender durchschaue und das Wochenende schon am Montag plane. Zuhause bleiben geht ganz selten, denn: ES GIBT SO VIEL ZU ERLEBEN!
Und da schlagen wir den Bogen zum Juni. Dieser wunderbare Monat, in dem die Festival-Saison beginnt, die Open-Air-Veranstaltungen nicht weniger werden, jedes Café dazu einlädt, einen kühlen Drink zu genießen und man sich nicht entscheiden kann zwischen Cabrio oder Fahrrad-Ausflug. Da weiß man eben gar nicht, was man zuerst machen soll. Ich überlege manchmal, wie viel man an einem Tag eigentlich schaffen kann – nicht nur zeitlich sondern auch geistig. Zu viele Eindrücke sind nämlich auch nicht schön. Vorgestern noch beim Fußball, Picknick-Frühstück am See, danach gehts zum Tag der offenen Tür bei Trallalala, danach schnell zum Straßenfest im Nachbar-Viertel und abends zum Kino mit Sonnenuntergang am Hafen.
Stopp! Parallel dazu gab es ja aber noch viele andere tolle Veranstaltungen und leider platzt mein Kopf gleich und ich frage mich plötzlich: Habe ich die richtige Wahl getroffen? Habe ich vielleicht sogar etwas Besseres, Spannenderes verpasst? Also nicht nur FOMO, sondern auch traurig? Hab ich aus dem Tag wirklich das Beste rausgeholt? Tausend Fragezeichen und irgendwie unzufrieden. Vielleicht leide ich ja auch unter Aboulomanie – quasi die krankhafte Form der Unentschlossenheit. Betroffene sind nämlich unfähig, im täglichen Leben irgendeine Entscheidung zu treffen. Na gut, im Normalfall weiß ich schon, ob ich Kaffee trinken möchte oder Tee. Aber welchen Tee? Jetzt hab ich Sie beim Schmunzeln erwischt.
Und das ist ja am Ende auch das Wichtigste: Lachen können. Auch über die eigene FOMO und Aboulomanie. Ohne Humor gehen wir alle zugrunde. Und das will ja eigentlich auch niemand. Und um sich über sowas den Kopf zu zerbrechen – dafür ist das Leben wirklich zu kurz. Oh nein – da sind wir ja schon wieder bei der FOMO! Das ist doch alles Wahnsinn! Dabei wollte ich Ihnen doch nur sagen, wie schön der Juni sein kann. Mit all seinen Düften und Blümchen und Bienen.
Ach, eins möchte ich Ihnen noch kurz erzählen: Im letzten Jahr im Juni, also etwa vor einem Jahr, erlebte ich den Tiefpunkt meiner Jogging-Karriere. Also, Sie müssen wissen, ich laufe regelmäßig und ich liebe es sehr. Nicht übertreiben, aber es hält ja auch einfach fit. Jedenfalls brüten bei uns immer die komischen Nil-Gänse – die mit den roten Augen. Und wenn die Baby-Gänse schlüpfen, drehen die Mama- und Papa-Gänse natürlich durch, sobald man ihnen nur einen Schritt zu nah kommt. Tja. Und genau das muss ich wohl gemacht haben in meinem pinken Lauf-Outfit. Papa-Gans (mit den roten Augen) rennt laut schimpfend auf mich zu, spannt die Flügel, hebt ab und greift mich an. Volle Kanone! Ich hab mit den Armen gefuchtelt und war tapfer. Aber hätte ehrlich gesagt auch heulen können. Demütigend. Wirklich!
Also, passen Sie immer gut auf sich auf, besuchen sie ein Konzert oder ein Cafe oder ein Dies oder ein Das und bleiben Sie im Juni gelassen.
Sie wollen mir schreiben? Gern: mail@louisa-noack.de