September – Wenn die Welt nach Äpfeln riecht
Der September ist ein Abschied mit Anstand. Kein abruptes Türen schlagen wie im November, kein überdrehter Sonnenbrand-Flashback wie im Juli – nein, der September verbeugt sich. Leise, golden, würdevoll.
Es ist der Monat, der morgens noch kühl und frisch ist wie ein Schluck Wasser mit Zitrone, mittags nochmal aufdreht wie ein Spätsommer-DJ – und abends leise raschelt, weil die Bäume sich schon langsam umziehen.
Ich liebe den September. Vielleicht, weil ich ihn mit meiner Kindheit verbinde. Mit Feldern, Gummistiefeln, Schubkarren voller Fallobst – und eben der unverkennbaren Duftmischung aus geernteten Feldern und überreifen Pflaumen, die nur auf dem Dorf so betörend ist, dass man sie Jahre später noch riecht, wenn man die Augen schließt.
Dorfkind-September: Mehr Apfelmus als Insta-Filter
Ich bin auf dem Land aufgewachsen – naja… zumindest teilweise. Nämlich in den Sommerferien, Herbstferien, jeden Sonntag und manchmal auch Mittwoch Nachmittag, wenn wir zu den Großeltern fuhren. Jedenfalls: der September war bei Oma und Opa kein Monat, sondern ein Kraftakt. Da wurde geerntet, eingekocht, eingeweckt, geschichtet, gestampft, geschält, geschnippelt und in Gläser gedrückt, was die Bäume hergaben.
Der Apfelbaum hinterm Haus war Omas persönlicher Goldesel. Seine Äpfel waren nie makellos – oft mit kleinen Macken, ein paar Würmern, manchmal völlig verformt. Aber sie waren sauer und süß und knackig, und wenn du beim Runterbeißen nicht sofort aufpasstest, spritzte dir der Saft bis zum Ohr.
Meine Oma machte Apfelmus – im großen Topf, mit Zimt und Vanille und einer Engelsgeduld. Meine Aufgabe war es, die Äpfel zu waschen und mit so einem Apfelschälgerät zu bearbeiten, das wie ein mittelalterliches Folterinstrument aussah. Dabei landeten mindestens drei Viertel der Schale auf dem Boden – und mein Onkel und ich stritten regelmäßig, wer mehr Schalen am Stück hinbekam. (Er hat immer geschummelt.)
Und dann dieser Moment, wenn das Apfelmus fertig war, heiß in Gläser gefüllt, die Küche nach Herbst roch – und du den ersten Löffel direkt aus dem Topf bekamst. Viel zu heiß, aber genau richtig.
Die Septemberruhe nach dem Sommersprint
Nach dem wilden August fühlt sich der September an wie ein tiefer Atemzug. Der Druck, alles aus dem Sommer zu holen, ist weg. Man muss jetzt nicht mehr jeden Sonnenstrahl verwerten, keine Grillpartys mehr mit 15 Leuten im Park planen oder zwanghaft „nochmal an den See fahren“.
Der September ist wie das leise runter dimmen des Lichts nach einer wilden Party. Es wird ruhiger, klarer, fast schon kontemplativ.
Ich habe irgendwann in meinen Zwanzigern angefangen, im September kleine Traditionen zu pflegen. Keine großen, spektakulären – eher so stille Rituale. Ein Spaziergang durch den Park der Großstadt, wenn das Licht abends schräg durch die Bäume fällt. Ein Besuch auf dem Markt, wo die letzten Tomaten neben den ersten Kürbissen liegen.
Und: Kastanien sammeln. Klar werden sie spätestens im November in den Müll wandern. Aber die glänzenden Dinger aufzuheben ist ein Stück Kindheit.
Erntezeit – auch im übertragenen Sinne
Der September bringt nicht nur Äpfel, Birnen, Pflaumen und Weintrauben – er bringt auch Bilanz. Im Kleinen wie im Großen.
Was habe ich dieses Jahr gesät? Was darf ich jetzt ernten? Was ist nicht aufgegangen, obwohl ich es so sehr wollte? Und was wächst da plötzlich, obwohl ich es gar nicht gepflanzt habe?
Es ist wie im Garten: Man kann planen, säen, düngen – aber das Wetter, das Leben, der Zufall haben immer ein Wörtchen mitzureden. Und manchmal ist der Mangold voller Löcher, aber die Sonnenblumen blühen trotzdem.
Letztes Jahr zum Beispiel habe ich Tomaten gezogen. Zum ersten Mal. Ich hatte keine Ahnung, was ich tat. Ich googelte viel, sprach mit Nachbar:innen (deren Tomaten natürlich riesig und rot und prall waren), und tat dann einfach mein Bestes.
Die Ausbeute? Fünf mittelgroße Tomaten. Fünf!
Aber ich war stolz, als hätte ich ein Kind großgezogen. Ich habe jede einzelne davon fotografiert, verhätschelt, und feierlich zu Bruschetta verarbeitet.
Es war wahrscheinlich die teuerste Bruschetta meines Lebens – aber auch die mit dem größten Herzklopfen.
Wenn das Licht goldener wird
Der September ist der Monat des Lichts. Nicht so grell wie im Juli, nicht so weich wie im Oktober. Sondern warm, klar, golden. Die Schatten werden länger, die Tage kürzer – und trotzdem liegt in der Luft dieser Hauch von Möglichkeit.
Vielleicht ist es die Rückkehr des Alltags, die uns dabei hilft, uns wieder ein bisschen zu erden. Die Schulen fangen an, die Kalender füllen sich wieder, und irgendwie fühlt sich alles strukturierter an – aber nicht stressig. Noch nicht.
Ich nutze den September oft, um Dinge zu ordnen. Papiere, Gedanken, Gefühle. Ich räume Schubladen auf, lösche alte Chats, kaufe neue Stifte (ich liebe neue Stifte!), und notiere mir: Was soll bleiben? Was darf gehen?
Kindheit im September: Maislabyrinthe und Kartoffelfeuer
Eines meiner schönsten September-Erinnerungen: Das Kartoffelfeuer auf dem Feld hinter dem Haus. Meine Oma hatte uns Kindern beigebracht, wie man die Kartoffeln direkt in die Glut legt, in Alufolie gewickelt oder auch einfach so. Und wenn man sie rausnahm, war außen alles schwarz und innen alles gold. Dazu Butter und Salz und manchmal auch Quark mit Schnittlauch, den wir vorher im Garten geerntet hatten.
Der Rauchgeruch haftete natürlich tagelang noch an der Jacke, und wenn man sie im Winter wieder aus dem Schrank holte, roch man noch immer ein kleines bisschen September.
Fazit: Der September ist der Anfang vom Ende und das Beste daran zur gleichen Zeit.
Er sagt uns: Du musst nicht mehr glänzen. Du darfst jetzt einfach sein.
Er erinnert uns: Da ist so viel, das du ernten darfst! Auch, wenn du es nicht geplant hattest. Und er zeigt uns: Abschiede können auch schön sein.
Also atmen wir ein, während das Licht durch die goldenen Blätter fällt.
Kochen Apfelmus. Backen Zwetschgenkuchen. Und legen ein paar Kartoffeln ins Feuer.
Weil der September nicht laut ist, aber voller Geschichten.
Und wenn wir genau hinsehen, erzählt er uns jedes Jahr eine neue.