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Saubere Lügen: Warum Clean Beauty oft weniger clean ist, als sie vorgibt
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Saubere Lügen: Warum Clean Beauty oft weniger clean ist, als sie vorgibt

von CityGlow

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Clean Beauty klingt nach Natur, Reinheit und Sicherheit. Doch die Realität hinter dem Trend ist oft weniger makellos als sein Image. Ingenieurin und Cosmetic Scientist Ying Hösl räumt mit den größten Irrtümern auf und erklärt, warum „frei von“ nicht immer die bessere Wahl ist.

Der Mythos vom makellosen Etikett

Es klingt so verführerisch. Clean Beauty verspricht Hautpflege “ohne Chemie”, Minimalismus und ein gutes Gewissen.
Doch hinter dem vermeintlich gesunden Image verbirgt sich oft nicht mehr als cleveres Marketing. Die Verantwortung für die eigene Kaufentscheidung lässt sich nicht so einfach an ein “clean”-Label abgeben.

Der Begriff “clean” ist weder wissenschaftlich definiert noch reguliert. Jede Marke darf selbst entscheiden, was sie für sauber hält. Oft bedeutet das leider, dass bewährte und sichere Inhaltsstoffe gemieden werden, obwohl sie gerade für empfindliche Haut unverzichtbar sind.

Frei von; aber frei von was eigentlich?

“Frei von Parabenen” steht stolz auf vielen Tuben. Wahrscheinlich die größte Hetzkampagne der Kosmetikgeschichte. Dabei werden Parabene seit 80 Jahren eingesetzt und gehören zu den am besten dokumentierten Konservierungsstoffen überhaupt mit einem sehr guten Sicherheitsprofil. Sie schützen vor Bakterien, Schimmel und Keimen und wurden von der EU in der zulässigen Dosierung als sicher bestätigt. Auch die Allergenität ist deutlich niedriger als bei Alternativen. Ein kompletter Verzicht auf Konservierung ist keine Option, da verdorbene Produkte ein ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko darstellen. Der Einsatz von einfachem Alkohol kann ein unwirtliches Milieu für Mikroorganismen schaffen, jedoch auch die Haut reizen.

Während “frei von Silikonen” bei Haarprodukten je nach Haartyp als Hilfe zur informierten Entscheidung dienen kann, ist sie für Hautpflege eigentlich nicht zulässig. Diese Behauptung entspricht nicht dem EU Kriterium “Fairness”, da er suggeriert, Wettbewerber würden “schlechtere” Inhaltsstoffe verwenden, was objektiv nicht haltbar ist.

Natürlich ist nicht automatisch besser

“Natürlich” klingt gesund. Wir greifen da in die psychologische Falle des naturalistischen Fehlschlusses. “Natürlich” ist nicht automatisch besser oder ungefährlich. Klassische Beispiele sind Fliegenpilz und Botox als hochpotente Gifte. Im Gegenzug wollen wir auf synthetische Medikamente keinesfalls verzichten.

Auch für die Haut hält die Natur viele Allergene bereit. Ätherische Öle mit Duftstoffen wie Linalool, Eugenol oder Geraniol, die in vielen Clean-Produkten Duft und Pflanzenpower versprechen, gehören zu den häufigsten Auslösern von Kontaktallergien und müssen daher auch extra in der Inhaltsstoffliste offengelegt werden.

Greenwashing mit schönem Schein

Die Sehnsucht nach einem nachhaltigeren Lebensstil ist berechtigt. Doch viele Marken nutzen diesen Wunsch für Greenwashing.
Statt echter Umweltverantwortung gibt es grüne Etiketten, recycelbare Tiegel und botanische Inhaltsstoffe, deren Gewinnung alles andere als nachhaltig ist. Nachhaltigkeit bedeutet nicht weniger Chemie, sondern weniger Verschwendung. Produkte, die stabil, verträglich und wirksam sind, werden aufgebraucht und enden nicht halbleer im Spiegelschrank.

TikTok, Clean Girl und die neue Unsicherheit

Auf TikTok und Instagram wird clean zur Ästhetik. Junge Influencer*innen schwören auf DIY-Masken mit Apfelessig, verzichten bewusst auf “Chemie” oder mischen sich Cremes mit Pflanzenölen zusammen. Dabei vergessen viele, dass auch Wasser eine Chemikalie ist und tödlich sein kann. Die Dosis macht das Gift. Lebensmittel gehören nicht auf unsere Haut, denn unser Darm ist deutlich robuster im Umgang mit Allergenen.

Aufklärung statt Angst

Eine effiziente Formel mit sinnvoll ausgewählten Komponenten sollte das Ziel jedes Entwicklers sein. Ob mit “clean”-Label oder nicht. In der EU unterliegen alle Produkte auf dem Markt der Kosmetikverordnung mit obligatorischer Sicherheitsbewertung. Das Produkt sollte zu unseren Werten und Hautbedürfnissen passen. “Clean” oder “natürlich” sind für mich keine sinnvollen Kriterien.

 

Fazit: Schön ist, was wirkt

Hautpflege ist kein Glaubensbekenntnis. Sie ist Wissenschaft. Und das Beste für die Haut sind Formulierungen, die wirksam, verträglich und stabil sind. Verbraucherinnen sollten Produkte wählen, die halten, was sie versprechen, statt sich von Marketing-Ängsten leiten zu lassen. Denn am Ende zählt nicht, wie viele Inhaltsstoffe gestrichen wurden, sondern was deiner Haut gut tut.

Über die Autorin
Ying Hösl, M.Sc., ist Verfahrensingenieurin, Cosmetic Scientist und Gründerin von Skingineered. Sie gehört zu den führenden Stimmen für evidenzbasierte Hautpflege und nachhaltige Innovationen in der Kosmetikindustrie. Mit ihrer Expertise klärt sie über gängige Mythen auf – für Hautpflege, die wirklich funktioniert.

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