Jetzt online lesen: Ausgabe 10.2025

Oktober – Wenn der Wind die Gedanken durchlüftet
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Oktober – Wenn der Wind die Gedanken durchlüftet

von CityGlow

Der Oktober ist wie der erste Pulli, den man nach einem langen Sommer wieder aus dem Schrank zieht. Er riecht noch ein bisschen nach Keller, fühlt sich anfangs fremd an – und ist dann plötzlich genau das, was man gebraucht hat. Nach den Sonnenkicks der letzten Monate kommt er leise um die Ecke, dieser Oktober. Mit seinen goldenen Nachmittagen und seinen stürmischen Morgenden. Mit feuchten Wiesen, den ersten Tees in Keramiktassen und der leisen, aber deutlichen Botschaft: Jetzt wird’s ernst mit dem Herbst. Und wenn ich an Oktober denke, denke ich automatisch an: Herbstferien an der Ostsee.

Herbstferien an der Küste – zwischen Gummistiefeln und Glückseligkeit

Ich weiß nicht, wessen Idee das ursprünglich war – aber in meiner Kindheit sind wir fast jeden Oktober an die Ostsee gefahren. Während andere Freundinnen von mir in den Süden düsten, All- Inclusive und Animationsprogramm inklusive, ging es bei uns: ab nach Zingst, Prerow oder Ahrenshoop. Gern auch in eine dieser großen Ferienwohnungen mit Einrichtung aus dem Jahr ’84, wo die Sitzkissen vom Sofa ein unangenehmes Quietschen von sich gaben, wenn man sich draufsetzte – und die Deckenlampen aussahen wie umgedrehte Blumenvasen. Aber es gab auch ganz fanatische Apartments – ein großer Hof, ein großes Grundstück und die Steilküste nur einen Steinwurf entfernt.

Ich habe diese Zeit geliebt. Denn an der Ostsee im Oktober ist alles anders. Die Strände leergefegt, der Wind so stark, dass man sich dagegenlehnen kann, und die Möwen schreien, als müssten sie sich selbst wachhalten. Ich erinnere mich an lange Spaziergänge im Nieselregen, bei denen meine Mutter immer „die frische Luft“ lobte, während ich versuchte, meine klammen Finger in den viel zu kurzen Jackenärmeln zu verstecken. An Tage, an denen das Meer so grau war wie der Himmel, und man die salzige Gischt auf den Lippen schmecken konnte.

An Abende mit heißer Schokolade, Gesellschaftsspielen mit fehlenden Würfeln, und Büchern, die man nur im Urlaub liest – weil sie dort plötzlich eine ganz eigene Magie haben.

Oktober ist kein Monat, Oktober ist ein Gefühl

Ein Gefühl von Einrollen. Von Übergang. Vom Loslassen.

Die Bäume machen’s uns vor – sie lassen alles fallen, was zu schwer geworden ist. Und sehen dabei auch noch unfassbar gut aus. Ich meine, ehrlich: Kein anderer Monat bringt solche Farben zustande! Kennen Sie diesen einen Moment, wenn Sie durch einen Park gehen, die Sonne steht tief, der Himmel ist klar – und es wirkt, als hätte jemand einen warmen Filter über die ganze Welt gelegt? So ein Moment, in dem alles golden schimmert und selbst der trübe Teich aussieht wie ein Kunstwerk? Das ist Oktober. Kein „Knallbumm“-Monat, kein lauter Sommerausklang. Sondern ein Flüstern. Ein Nachhallen. Ein Zwischen.

Wieder Ostsee – diesmal mit Erkenntnis

Als ich Anfang Zwanzig war, bin ich irgendwann aus Trotz nicht mitgefahren. Ich wollte nicht mehr mit meinen Eltern frierend an der Steilküste entlanglaufen. Ich wollte Partys, Nachtleben, Stadt. Ich blieb zu Hause – und verbrachte die ganze Woche krank auf dem Sofa. Ohne Seeluft, ohne Möwen. Es hat dann dich gefehlt. Vor ein paar Jahren war ich dann mal wieder an genau dem Ort, an dem wir früher immer waren – diesmal mit meinem Mann. Wir mieteten uns eine kleine Wohnung genau in diesem Hof Ina der Steilküste. Und was soll ich sagen? Es war genauso, wie ich es kannte – nur mit mehr Rotwein und besseren Wolldecken. Wir lagen abends eingekuschelt auf dem Sofa, hörten den Wind draußen pfeifen und redeten stundenlang über das Leben, über das, was wir loslassen sollten – wie die Bäume eben. Am nächsten Morgen gingen wir joggen und später barfuß über die nassen Steine, obwohl es 9 Grad hatte. Wir froren, lachten, schrien gegen den Wind an. Und waren lebendig.

Erntedank und Kürbissuppe

Der Oktober ist auch der Monat des Erntens – nicht nur auf dem Feld, sondern im Leben. Ich liebe es, wie jetzt plötzlich überall Kürbisse auftauchen, als wollten sie uns daran erinnern, dass auch der kleinste Samen Großes hervorbringen kann. Früher auf dem Dorf war der Oktober der Monat, in dem wirklich jeder zweite Samstag dem „Einlagern“ gewidmet war. Kartoffeln, Zwiebeln, Äpfel – alles kam in den Keller. Meine Oma hatte so ein Regal, auf dem immer drei Gläser Apfelkompott, zwei mit Birnen und eine unidentifizierbare Marmelade standen, die vermutlich 1982 gekocht worden war. Aber wehe, man hat’s wegwerfen wollen! „Das is noch gut!“ Heute koche ich selbst im Oktober. Nicht zwingend Vorräte – aber Seelenfutter. Kürbissuppe mit Ingwer. Wok mit viel Curry. Und diesen Brokkoli-Auflauf, den mein Vater immer gemacht hat, wenn’s draußen ungemütlich wurde. Später sitzen wir mit Kerzenlicht und einer Wärmflasche am Rücken auf dem Sofa. Und denke: So schlecht ist dieser Übergang gar nicht.

Fazit: Oktober, du goldener Abschied

Der Oktober ist der Monat, in dem wir die Fenster zumachen – aber das Herz ein Stück weiter öffnen. Er bringt uns nicht nur kühlere Tage, sondern auch die Erlaubnis, langsamer zu machen. Er zeigt uns, dass Loslassen nicht Verlust bedeutet – sondern Raum schafft. Und ganz ehrlich: Wer einmal bei Windstärke sieben an der Ostsee stand, die Haare wild im Gesicht, der weiß, was ich meine, wenn ich sage: Der Oktober bläst dir den Kopf frei – aber auf die schönste Art.

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