Sie hatten sich im Urlaub kennen gelernt. „Wir wohnten Tür an Tür und hatten die gleiche Leidenschaft zu gutem Wein und gutem Essen“, so der Wiener Fotokünstler und Enfant terrible der Giga-Pixel Fotografie Lukas Hüller (55) über seine erste Begegnung mit Jan Fleissig (55), dem Eigentümer der Konditorei Kreipe. „Den Sacher aus Hannover“ nennt Hüller den gelernten Konditor, der gerade 150-jähriges Firmenjubiläum feierte. Aus einem Wein wurde eine Freundschaft und diese Freundschaft kreierte ein mehrere Meter großes Wimmelbild, welches jetzt in Hannover im ersten Stock des Coffeetimes in der Rathenaustrasse zu bewundern ist. Darauf Mitarbeiter der Konditorei Kreipe, die Familie Kreipe selbst natürlich und ein paar ausgewählte Freunde. Nicht irgendwie portraitiert, sondern zwischen hunderten von verstreuten Baumkuchen, Torten, Eclairs und Leckereien die sich über das Bild im Überfluss ergiessen. Minimalismus ist nicht Hüllers Sache. Es wird zwar gekleckert aber hauptsächlich rangeklotzt. Alle Protagonisten sind ihrer Funktion nach inszeniert, lecken sich die Finger ab, öffnen Weinflaschen, tragen Torten, prosten sich zu, lachen zwischen über den Boden kullernden Tennisbällen oder freuen sich auf Suppe, die von Katharina Fleissig (47), auf einem Stuhl stehend, aus einem Riesen Topf ausgeschenkt wird.
Es ist nicht irgendein Bild. Es ist ein wahrhaftiges Wimmelbild. Ein Suchbild. Ein Geschichtenerzählerbild. Wie man es aus den Kinderbüchern von Ali Mitgutsch kennt. Eben in real. Zusammengesetzt aus Tausenden von Pixeln, bearbeitet und zusammen gefügt in mehr als 100 Stunden Nachbearbeitung. Lukas Hüller inszeniert Fotografien wie Gemälde und kreiert dadurch visuelle Geschichten und Botschaften als Fotokunst und Auftragswerk.
Begonnen hat die Karriere Hüllers in den 90er Jahren, als er nach dem Abitur erfolgreich die Aufnahmeprüfung an der Ecole Nationale Supérieure des Arts Visuels de la Cambre für die Meisterklasse der Fotografie in Brüssel absolvierte. Elf Jahre blieb Hüller in der belgischen Hauptstadt. 1999 kehrte er nach Wien zurück und nach einem Kleinen Abstecher nach Lateinamerika fand er in Oggau mit seiner Frau und Tochter Hanna seine neue Heimat.
Kunst und Bildungsprojekte realisiert Hüller unter anderem für Organisationen wie das SOS Kinderdorf, UNHCR oder Olympic Solidarität, was auch grosse Präsentationen dieser Projekte im Zuge der Olympischen Spiele in London 2012 oder den Vereinten Nationen in Genf mit sich brachte. „Viele Auftragsarbeiten sind bei mir die Fortsetzung von freien Projekten“, so Hüller.
Die „Sieben Todsünden“ von Pieter Bruegel fotografierte Hüller genauso wie ein Großprojekt für Österreichs populärsten Fußballverein SK Rapid, für den er ein monumentales Symbol erschaffen sollte, welches den Teamgeist des „im Sumpf steckenden grün weißen Karrens“ fotografisch festhalten sollte. Er fotografierte 130-jährige Firmenjubiläen, wie das für den Tiroler Nudel-Kaiser Recheis mit einer inszenierten Spaghetti-Party genauso wie das Projekt „Staged Band“, für dass er die bekannte Austropop-Ära, also alle namenhaften Österreichischen Pop-Künstler im legendären Café Anzengruber auf einem Bild zusammen verewigte. In der Mitte Conchita Wurst neben Liedermacher Schiffkowitz und Marianne Mengt. Herausgekommen ist ein Werk, welches einzigartig ist. „Die einzelnen Musiker sind auf dem Foto zu einem homogenen Kollektiv geworden, es ist eine Aussagekraft und Wucht entstanden.“ Fotografiert wurde über 4 Tage. Alle Protagonisten einzeln. Später in Postproduktion zusammen gesetzt. Die Planung dauerte Monate. „Solche Bilder sind sehr besonders, weil man es sonst nie schaffen würde, diese Künstler alle auf einem Bild zu verewigen.“ Staged Photography so nennt Hüller auch seine Arbeit.
Er hing unter anderem mit seiner provokativen Darstellung der „Sieben Todsünden“ schon im Andy Warhol-Museum in Pittsburgh, dem Fotomuseum Charleroi in Belgien, dem Museum Quartier Wien und vielen anderen. Jetzt hängt er in Hannover. Und nicht nur er. Sondern auch die Familie Fleißig nebst ihren Angestelltem, ihrem Team, Freunden und einer Kulisse, die fantastischer nicht hätte inszeniert werden können.
„Jedes Mal, wenn man auf die Bilder schaut entdeckt man etwas neues. Und in allen meiner Bilder verstecke ich auch immer ein, zwei Dinge, die nur ich weiss und kenne.“ Stillstand gibt es für Hüller nicht, gerade hat er in den österreichischen Bergen einen Fahrradfahrer nachts mit leuchtenden Bengalos auf dem Fahrrad den Berg runter fahren lassen. Um diesen mit einer gleißenden Lichtspur beleuchten zu können.
„Fotografie darf und muss provokant sein und aufrütteln.“
www.lukashueller.at
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Text: Luisa C. Verfürth