Jetzt online lesen: Ausgabe 04.2025

Wenn der Bösewicht auf der Bühne auch mal das Singen anfängt
Götz Otto mit dem Inhaber des Yu Garden, Qiuyi Chen (auch Präsident der Hamburger China-Gesellschaft), Foto: Cetin Yaman
Aufrufe: 192

Wenn der Bösewicht auf der Bühne auch mal das Singen anfängt

von CityGlow

Götz Otto plaudert beim Interview Lunch im Yu Garden über seine neue Rolle

Obwohl der Schauspieler Götz Otto eigentlich eine Vielfalt an Rollen spielen kann – und dies auch tut – ist er der großen Öffentlichkeit doch hauptsächlich als Darsteller von Bösewichten bekannt. Und da natürlich hauptsächlich für seine Teilnahme im James-Bond-Film „Der Morgen stirbt nie“ (1997). Zur Zeit ist der 57-Jährige wieder mal auf der Bühne in Hamburg zu sehen. Im St. Pauli Theater spielt er in dem Stück „Die Carmen von St. Pauli“ selbstredend wieder einen wenig sympathischen Kotzbrocken. CITY GLOW traf sich mit dem 1,96 großen Hünen zum Mittagessen im chinesischen Restaurant Yu Garden im feinen Stadtteil Hamburg-Harvestehude und plauderte mit ihm über seine aktuellen Aktivitäten im Theater.

CY: Hallo Herr Otto, schön, dass Sie die Zeit für ein Interview mit CITY GLOW in diesem fabelhaften Restaurant chinesischen Restaurant Yu Garden in Hamburg gefunden haben. Starten wir doch gleich mit ihrem aktuellen Engagement hier bei uns in der Hansestadt. Als das Angebot für die Rolle des Reeders Fritz Rasmussen in dem Stück „Die Carmen von St. Pauli“ bei Ihnen auf dem Tisch lag, was hat Sie daran gereizt, mitzuwirken?

GO: Das Ganze ist ein Projekt von Peter Jordan & Leonhard Koppelmann, in der Regel machen die beiden sogenannte Singspiele. In dem Fall haben sie zum Beispiel das Original, die Oper von Georges Bizet, als Grundlage verwendet und daraus ein aktuelles Stück erstellt. Von den beiden gibt es auch eine Bearbeitung der Dreigroschenoper, die ebenfalls noch sehr erfolgreich im St. Pauli Theater läuft. Und ich hatte bisher tatsächlich noch nie vorher auf einer Bühne gesungen. ‘Hatte zwar so einige Gesangsabende gemacht, in Kombination mit Literatur, aber Gesang, verbunden in einem Theaterstück auf der Bühne, hatte ich noch nie vorher gemacht und das fand ich sehr reizvoll. Und auch die Rolle, die für mich vorgesehen war, fand ich sehr anziehend. Der Typ ist quasi die Inkarnation des bösen, alten weißen Mannes. Und Theater spiele ich im Moment auch sehr gern.

CY: Das war für mich als Zuschauer im Saal auch eine ziemliche Überraschung, als ich Sie im Stück live singen gehört habe. Zuerst dachte ich, dass das ein Playback wäre und jemand anders singen würde, aber das sind tatsächlich Sie!

GO: Ja, und dafür hab ich auch Gesangsstunden genommen, denn wir singen tatsächlich die Oper „Carmen“, das heißt: Opern-Arien! Oder vielmehr: ich versuche das zumindest…

CY: Der „Versuch“ gelingt Ihnen aber sehr gut, ihr Bariton klingt sehr professionell…

GO: Nun, ich würde das nicht unbedingt zu meiner Kernkompetenz erklären, aber zumindest macht mir das Singen großen Spaß. Und wenn ich das zum Beispiel mit dem Stück, in dem ich Anfang des Jahres im Winterhuder Fährhaus hier in Hamburg mitgespielt habe („Es ist nur eine Phase, Hase“), vergleiche, dann ist das natürlich etwas komplett anderes. Das eine ist eine Beziehungskomödie und das andere ist ein Singspiel, also ein ganz anderer Theaterabend.

CY: Irgendwelche anderen Vorbereitungen getroffen, zum Beispiel nochmal irgendwo die Oper „Carmen“ angeguckt?

GO: Nein, denn wir orientieren uns ja bei diesem Stück eher an dem Schwarz-Weiß Stummfilm aus den 1920er Jahren und das Besondere an dieser Aufführung im St. Pauli Theater ist unter anderem auch, dass Ausschnitte aus diesem Film im Hintergrund ablaufen. Diesen Film hatte ich mir vorher angesehen.

CY: Was für eine Erkenntnis haben Sie daraus gewinnen können?

GO: Nun, es ist ja interessant, dass heutzutage, im Jahre 2025, Hamburg zwar weiterhin eine Hafenstadt ist, aber der Hafen an sich für das Leben der Menschen in dieser Stadt nicht mehr die gleiche Rolle spielt wie vor 100 Jahren. Ich habe in den letzten Jahren immer viel mit Hamburg zu tun gehabt und auch immer wieder für einige Zeit hier gelebt, habe aber zum Beispiel in dieser Zeit niemanden kennengelernt, der direkt im Hamburger Hafen arbeiten würde und auch niemanden, der jemanden kennt, der dort arbeiten würde. Das heißt, die ganze Seeleute-Romantik, die im Original-Film und bei uns auf der Bühne zitiert wird, die gibt es gar nicht mehr. Im Moment wohne ich zum Beispiel in der Nähe des Theaters auf St. Pauli und kann nicht beobachten, dass jeden Morgen Tausende von Hafenarbeitern sich auf dem Weg an die Arbeit in den Hafen machen würden. Also ist das, was wir auf der Bühne zeigen, eine Zeit, die schon komplett vorbei ist. Aber ich finde das sehr interessant zu sehen und sich damit auseinander zu setzen. Und auch die Diskrepanz mitzukriegen, was ich so als Bayer für eine Sicht vom Hamburger Hafen habe, die sich so im Laufe der Jahre bei mir persönlich eingebrannt hat, und das mit der Realität abzugleichen.

CY: Wie ist das für einen Schauspieler auf der Bühne, ist das nicht irritierend, wenn im Hintergrund ein Film abläuft?

GO: Nein, eigentlich überhaupt nicht, denn ich sehe in dieser Rolle sehr selten nach hinten. Im Moment wird an deutschen Theatern viel mit Videos und Projektionen gearbeitet. Ich finde, Projektionen machen nur dann Sinn, wenn es dramaturgisch und inhaltlich das Stück unterstützt und nicht als Alternative eine zweite Ebene aufmacht. Dann kann ich auch ins Kino gehen oder zuhause den Fernseher anmachen. Das Besondere am Theater ist ja, dass es hier und jetzt live stattfindet. Dass man spürt, dass es echt ist und nicht über ein Medium transportiert wird.

CY: Das ist zweifelsohne richtig, aber bei der jungen Generation scheint das nicht mehr besonders zu ziehen, es waren zum Beispiel bei der Aufführung, die ich besucht habe, sehr wenig junge Leute zu sehen (= unter 30). Ist unter diesem Aspekt die Hinwendung des Theaters zu Video und allgemein zu bewegten Bildern zu verstehen? Um die TikTok-Generation für das Theater zu begeistern?

GO: Das glaube ich ehrlich gesagt nicht, dass es da Kausalitäten gibt, vielleicht entfernt. Man versucht im Theater immer, neue Sachen auszuprobieren. Wenn man feststellt, dass es Sinn macht, dann bleibt es, und wenn nicht, dann kommt es eben wieder weg. Warum die Jugend ausbleibt, hat unter anderem den Grund, dass man sich das als junger Mensch mit niedrigem Einkommen auch leisten können muss, das ist meistens sehr schwierig. Deswegen bin ich ein großer Freund von Subventionen, denn Theater ist ein ganz wichtiger Faktor in der Kultur. Aber bezüglich Anbiederung an neue Medien à la TikTok: mein Eindruck ist eigentlich umgekehrt, ich habe das Gefühl, dass wieder mehr junge Menschen ins Theater gehen. Aus genau dem Grund, dass sie sagen, TikTok und all die anderen Sozialen Medien sind oberflächlich und zweidimensional; allgemein gehen diese nicht in die Tiefe. Und, für mich sehr interessant: heute Abend kommen meine Kinder ins Theater, sie sind zwar nicht ganz so jung, aber noch Twens, da bin ich schon sehr gespannt, was die zu dem Stück sagen werden.

CY: Die Rolle des Fritz Rasmussen in „Die Carmen von St. Pauli“ ist die eines Bösewichts und sie werden häufiger gern für solche Charaktere engagiert, zum Beispiel auch in „Hameln“, einer ZDF-Produktion, auch noch im Moment zu sehen. Ist das etwas, das Ihnen auch persönlich liegt?

GO: Also, ich bin Schauspieler. Das heißt, es ist mein Beruf, jemand anderen darzustellen. Dass ich dabei natürlich immer wieder auf Ressourcen zurückgreife, die ich in meinem Charakter-Repertoire habe, das ist klar. Aber wenn man 35 Jahre, so wie ich, unter anderem auch vielem negative Charaktere spielt, sucht man bei sich selber nach Eigenschaften und kommt da auch an diese Stellen ran, ohne diese im wahren Leben selber zu nutzen.

CY: Sie sind ja nun schon so lange dabei und haben sehr viele Rollen gespielt, gibt es da überhaupt noch welche, die auf ihrer To-Do-Liste stehen?

GO: Ich hab da schon sozusagen ziemlich viel abgefeiert. Vor zwei Jahren hab ich Richard III. in München gespielt, in 2024 war ich bei Kafka, ebenfalls in München, mit dabei. Hat beides viel Spaß gemacht.

CY: An welchen Projekten arbeiten Sie momentan sonst noch?

GO: Im Moment habe ich ein richtiges Herzens-Projekt am Laufen, es geht um Europa. Das ist zwar nicht unbedingt ein rein berufliches Anliegen, es steht aber in jedem Fall in Verbindung dazu. Ich bin nämlich ein großer Freund von Europa, ein großer Freund des europäischen Friedensprojektes. Es ist unglaublich, dass wir uns in Europa über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg ständig die Köpfe eingehauen haben und nun erst durch dieses europäische Projekt seit 80 Jahren durchgehend Frieden in Europa eingekehrt ist. Das finde ich sensationell, das bedeutet aber auch, dass man sich damit auseinandersetzen muss und sich fragen muss: Was ist dieses Europa überhaupt? Wo haben wir Defizite? Was genau sind europäische Werte? Das wurde ja nie so genau definiert.

CG: Also ein politisches Projekt?

GO: Mich interessiert vor allem europäische Kultur. Wenn man die Leute fragt, was Europa ist, kommen sehr unterschiedliche Meinungen zurück, aber auf den Begriff „europäischer Kulturraum“ können sich alle einigen. Doch die Frage ist, was ist denn überhaupt dieser „europäische Kulturraum“ und was macht diesen aus? Und ich als Kulturschaffender habe mich ehrlich gesagt auch nie so richtig mit dieser Frage nie beschäftigt. Nun lade ich mir in mein altes Feuerwehrfahrzeug, das ich ausgebaut habe, wo ich Tonaufnahmen machen und von dort aus Podcasts produzieren kann, regelmäßig einige Kollegen aus der Kulturbranche, mit denen ich auch schon zusammen gearbeitet habe, ein und rede mit ihnen über Europa. ‘Komme auch gerade aus Spanien und Portugal zurück und habe dort ebenfalls einige Interviews zu diesem Thema geführt. Und das ist alles mehr oder weniger eine Eigeninitiative und von mir selbst bezahlt. Daraus soll auch bald ein YouTube-Kanal entstehen und wir, alle Beteiligten, hoffen, dass es auf eine so große positive Resonanz stoßen wird, dass wir das Ganze sogar eventuell auf eine andere mediale Plattform bringen können.

CG: Dann wünschen wir Ihnen viel Glück dabei. Lassen Sie uns doch auch mal etwas über das Thema KI sprechen, das schlägt ja überall Wellen, auch in der Schauspielkunst. Betrifft es Sie auch schon?

GO: Das ist richtig, Medien sind zum Beispiel schon stark von den Entwicklungen im Bereich KI betroffen. Darum bin ich sehr froh, dass ich Theater spiele; das ist real, da sind reale Menschen aktiv und besonders freut es mich auch, dass jetzt der Bereich noch hinzugekommen ist. Zur KI im Allgemeinen kann ich nur sagen: die Büchse der Pandora ist geöffnet, die Menschheit hat das getan, ohne darüber nachzudenken, was für Konsequenzen das Ganze haben wird. Denn die KI bringt uns jetzt schon in juristische und moralische Probleme en masse. Zum Beispiel kann man schon die menschliche Stimme mit KI so genial kreieren, da hört man keinen Unterschied zu einer echten menschlichen Stimme.

CG: Halten Sie KI für gefährlich?

GO Sogar für sehr gefährlich! Zum Beispiel hab ich mir von ChatGPT für mein europäisches Projekt ein Konzept schreiben lassen und das Resultat war drei Seiten lang und echt gut. Wenn man sich jetzt aber fragt, wer hat denn nun was davon? Die Antwort lautet: der Produzent hat was davon, derjenige, der den Arbeitszeitraum finanziert, der nun weniger dafür bezahlen muss. Wenn ich selber dieses Konzept schreibe, sitze ich den ganzen Tag dran und es kostet wesentlich mehr Geld, aber dann ist es eine menschliche Kreation und diese menschliche Kreation muss vergütet werden. Eine künstliche Kreation, die von einer Maschine erschaffen wird, muss nicht vergütet werden, jedenfalls wird sie das momentan nicht. Und die Frage lautet: die KI muss ja auf Ressourcen zugreifen, das heißt auf Ressourcen, die vorher von Menschen erschaffen wurden. Das herauszufinden, welche Ressourcen die KI verwendet, bevor man sie arbeiten lässt, wäre zum Beispiel notwendig, denn dann müsste man auch die Erschaffer dieser Ressourcen – also Menschen – für ihre Arbeit vergüten.

CG: Sie sagten, Sie sehen auch juristische Probleme?

GO: So ist es, denn: welche juristische Person ist die KI? Wenn die KI Fehlentscheidungen trifft, zum Beispiel – ein harmloses Beispiel – die KI meinen Kühlschrank voll macht und Sachen einkauft, die ich eigentlich gar nicht möchte, wer ist dafür verantwortlich, muss ich das bezahlen? Oder wenn die KI selbstständig ein Auto lenkt und ein anderes rammt, was ist dann, wer ist verantwortlich? Oder wie vorhin bereits darüber gesprochen, auch ein brisantes Beispiel aus meinem Bereich, der Schauspielkunst. Wenn die KI eine neue menschliche Stimme erstellt, dann greift sie auch auf vorhandene Ressourcen zurück.Wessen Stimmen werden dafür genommen, um etwas Neues zu generieren. Welche Persönlichkeitsrechte werden damit verletzt? Lauter solche Sachen, darüber hat sich keiner Gedanken gemacht, aber die Maschinerie läuft trotzdem Volldampf weiter.

CY: Wird das Ihrer Meinung nach weiter zunehmen?

GO: Absolut, wir werden immer mehr abgeben an digitale Technologien und wir werden immer mehr von unserer Menschlichkeit verlieren, das, was uns ausmacht als Menschen.

CY: Das klingt aber sehr dramatisch, Herr Otto! Zumindest können wir uns aber momentan aber noch an echter Schauspielkunst, ausgeführt von echten, tollen menschlichen Schauspielern wie Ihnen erfreuen. Wollen Sie uns zum Schluss bitte noch verraten, wann Sie wieder in Hamburg auf der Bühne zu sehen sein werden?

GO: Jetzt am 27., 28. und am 30. März, sowie im November, erneut in „Die Carmen von St. Pauli“.

CY: Noch eine abschließende Frage zum Essen hier im Yu Garden: wie hat es Ihnen gemundet?

GO: Hervorragend, Kompliment an die Küche!

CY: Besten Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg mit Ihren Theater-Engagements – und das nicht nur in Hamburg.

Text: Cetin Yaman

  • Das Original des ästhetisch sehr gelungenen Yu Garden-Restaurants steht in Shanghai, China. In Hamburg hielt man sich beim Bau möglichst eng an die Vorlage, Foto: JERZY PRUSKI
  • Götz Otto als Reeder Fritz Rasmussen mit Patrick Heyn alias Hafenmeister Hansen in „Die Carmen von St. Pauli“, Foto: Kerstin Schomburg (St. Pauli Theater/hfr)
  • Auswahl der leckeren Speisen, die im Yu Garden beim Interview Lunch genossen wurden, Foto: JERZY PRUSKI
  • Auswahl der leckeren Speisen, die im Yu Garden beim Interview Lunch genossen wurden, Foto: JERZY PRUSKI

Das könnte dich auch interessieren

  • Die Kraft einer leuchtenden Kugel 
    von CityGlow
    PEOPLE Hannover
    15 Minuten Lesezeit

    Die Kraft einer leuchtenden Kugel 

    „Ich wollte ein Symbol schaffen, das Menschen sofort anspricht und Zusammenhalt verkörpert“, sagt Behnush Martinez über die leuchtende Kugel, die…

  • Kaninchen waren der Anfang
    Die Künstlerin vor ihren Gemälden mit Musikmotiven © Cetin Yaman
    von CityGlow
    PEOPLE Hamburg
    7 Minuten Lesezeit

    Kaninchen waren der Anfang

    Künstlerin Maria Summer Sormani hält mit der Malerei ihr Leben auf Kurs Hallo Summer, lass uns doch mal ganz von…