Ein kommender Tastenmeister lässt Hamburger staunen
Dmitry Sin begeistert in KAWAI-Konzertreihe in der Alfred Schnittke Akademie
„Lust, Freude und Teilnahme an den Dingen ist das einzige Reelle und was wieder Realität hervorbringt“ – dieser schöne Leitsatz des Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe passt wunderbar zu den Musikwelten des Romantikers Robert Schumann. Dieses Reelle wollte der gebürtige Zwickauer Schumann in einem Bunde Gleichgesinnter erfüllt sehen und schrieb – zuerst nur rein theoretisch – in einer Abhandlung über die sogenannten „Davidsbündler“, die es dann aber daraufhin tatsächlich gab. Der Komponist aus dem 19. Jahrhundert widmete sich auch musikalisch dieser zuerst fiktiven Vereinigung. 19 Stücke entstanden, das letzte allerdings unvollendet. Diese sind von Gegensätzlichkeiten in den Themen geprägt, es geht um Todes-, Grazien- und Koboldstänze. Allein die Tempoangaben geben davon ein schönes Zeugnis, da heißt es unter anderem: „innig“, „etwas hahnbüchen, „mit Humor“, „ungeduldig“, „nicht schnell und mit äußerst starker Empfindung“, „frisch“, ,,wild und lustig“, „wie aus der Ferne“ sowie ein etwas mysteriös klingendes „ balladenmäßig ,sehr rasch“.

Sie durften sich über einen fabelhaft gelungenen Abend freuen: Pianist Dmitry Sin, Klavierstimmerin Takayo Nishiyama und Shigeru Kawai-Botschafterin Anne-Sophie Desrez.
Foto: Cetin Yaman
Perfekte Vorarbeit von Klavierstimmerin Takayo Nishiyama von Shigeru Kawai
Also durchaus ein abwechslungsreicher Auftakt für ein Klavierkonzert, das sich Dmitry Sin für seine Darbietung in der Alfred Schnittke Akademie vorgenommen hatte. Und die Rechnung ging auf: mit ernster Miene, vollends in die Musik eingetaucht, präsentierte der junge Russe sachlich, ohne überbordende Emotionen, einen technisch einwandfreien Vortrag, der aber auch ans Herz ging. Tempowechsel hat er gut im Griff, alles fließt bei ihm ganz natürlich vor sich hin, der Flügel gehorcht ihm vollends. Die Klavierstimmerin Takayo Nishiyama von Shigeru Kawai hatte ganze Arbeit geleistet, das wurde in den ersten Minuten schon klar. Die feinnervige Empfindsamkeit der Schumann’schen Komposition wird von Sin erfasst und inspirierend umgesetzt. Unnötig zu sagen, dass bei einem Werk eines Pianisten wie Schumann die Virtuosität nicht zu kurz kommt, auch bei den Davidsbündlertänzen ist dies so und Sin ist dieser Aufgabe mehr als gewachsen. Doch präsentiert er diese Passagen nicht als Show-Effekt, sondern als etwas, das wunderbar in das Ganze eingebunden ist und organisch entwickelt wird. Schon dafür gibt es einen kräftigen Applaus im ausverkauften Saal.

Die Alfred Schnittke Akademie war komplett ausverkauft.
Foto: Cetin Yaman
Klingt teilweise gar nicht wie ein Walzer, ist aber einer…
Die nächsten 12 Minuten vor der Pause gehöre dann einem Walzer, allerdings mehr einem Post-Walzer, die Walzer-Zeit in einer musikalischen Nachbetrachtung sozusagen. Bei „La Valse“ handelt es sich um eine sehr bemerkenswerte Komposition von Maurice Ravel aus dem Jahre 1920. In diesem hatte der französische Musikmeister nicht weniger im Sinn als “die Vergöttlichung des Wiener Walzers”. Und weiter: “ein fantastischer Wirbel, dem sich niemand entziehen kann” – ein wahrlich hoher Anspruch. Dieser wird natürlich in vollem Umfang an den Tasten-Interpreten weitergegeben, wer möchte schon bei der Vergöttlichung eines musikhistorisch so wichtigen Genres wie dem Wiener Walzer patzen?…
Um es vorneweg zu sagen: der junge Russe Dmitry Sin erledigte diese Aufgabe an dem Abend in der Alfred Schnittke Akademie in Hamburg-Altona ebenfalls mit Bravour. Dieses als Ballettmusik entworfene Werk schildert im ersten (choreografischen) Abschnitt die Geburt des Walzers. Es ist faszinierend zuzuhören, wie Sin gelingt, die Vorgabe von Ravel, die ersten Lebenszeichen des Walzers aus einer Klang-“Ursuppe” zu gestalten, beeindruckend in Töne verwandelt. Der 3/4-Takt ist hier schon hörbar und im zweiten Teil ist man dann vollends drin im Walzer-trunkenen Wien Ende des 19. Jahrhunderts. Sin schafft es, die Leuchtkraft, die betörenden Klänge und den unwiderstehlichen Walzer-Rhythmus als natürliche Fortsetzung des ersten Satzes erscheinen zu lassen. Der letzte Abschnitt wird dann dem gerecht, was Ravel als “fantastischen Wirbel” angekündigt hatte: ein einziger Rausch an Klängen und Melodien, angetrieben vom bekannten Takt. Sin ist konzentriert bei der Sache und vermittelt mit seinem Klavierspiel exakt diese Gefühle – und holt dabei auch das Maximum aus seinem Instrument, einem Flügel von Shigeru Kawai, Modell SK-6, heraus. Eine enorme Leistung, die viel für den zweiten Teil des Abends versprach, denn da stand mit Rachmaninow ein weiterer, echter Klavier-Klassiker auf dem Programm.

Chun Li-Hunke (v.li.), Ehefrau von Ex-HSV-Präsident, und ihren Freundinnen Anni Schöner und Ru Wang gefiel auch die schöne Atmosphäre mit den vielen Musikliebhabern in der Alfred Schnittke Akademie besonders gut.
Foto: Cetin Yaman
Klavier-Gott Rachmaninow wusste, wie er für Pianisten zu komponieren hatte
Die erste Klaviersonate von Rachmaninow stellt Pianisten teilweise vor große Herausforderungen. Die in den Kompositionen durchklingende Eleganz und die Elegie der Musik hindern es nicht daran, stellenweise höchst vertrackte Vorgaben für den vortragenden Musiker zu stellen. Der Charakter ist spätromantisch eingefärbt und hat – wie immer bei Rachmaninow – eine Neigung zu ausdrucksvollem, dunkel pathetischem Balladen-Ton und schwärmerischer Lyrik. Mit anderen Worten: wenn der Pianist diese Stimmung nicht richtig erfasst, kann er sie auch nicht richtig präsentieren. Diese Gefahr besteht bei Dmitry Sin allerdings in keinster Weise. Inbrünstig geht er an das Klavier heran und holt aus diesem genau die dafür vorgesehenen Klänge. Sein Spiel ist sehr wirkungsvoll und weiß die melodischen Reize dieses Werks den Besuchern im ausverkauften Saal überzeugend zu offerieren. Sin’s feinfühliger Anschlag ist ausgereift, seine Fähigkeit, den hochwertigen Flügel buchstäblich zum Singen zu bringen, gelingt ihm ganz besonders bei dieser Sonate eindrucksvoll. Empfindsame Partien erbringen schöne Kontraste zu den energischen, vorwärtsdrängenden Teilen der Komposition.
Der Dank des Publikums für diesen wahrlich mehr als überzeugenden Vortrag von Dmitry Sin kann nur ein tosender Applaus sein – und genauso ist es dann auch.

Ehrengast Kwaku Amoah-Badiako, Konsul von Ghana (2.v.li.), mit Begleitung Nana Serwaa (li.) sowie Pop-Star Volkan Baydar („Orange Blue“) mit Freundin Lisa Tilicke.
Foto: Cetin Yaman
Gefühl ja, Kitsch nein – Sin weiß, wie das geht
Der ernste junge Mann hat an dem Abend in Hamburg nicht nur mit seiner schon jetzt ziemlich brillanten Technik überzeugt, er hat mit seinem emotionalen Spiel auch die Herzen der Musikfreunde in der Hansestadt erobert. Und was ebenfalls noch erwähnt werden muss: noch in den 1960er Jahren hatten viele Kompositionen von Rachmaninow bei Musikkritikern in Deutschland keinen besonders guten Ruf, sie wurden sogar gelegentlich als „stimmungsvolle Unterhaltungsmusik“ herabgewürdigt, man unterstellte ihnen eine „redselige Weitschweifigkeit“. Das hat sich dann mit der Zeit zum Glück gewandelt, moderne Pianisten wissen nun, wie man Rachmaninow frei von zu viel Pathos und Kitsch präsentieren kann. Dmitry Sin gehört zu diesen Klavierspielern, die diese Komposition zwar melodiös und gefällig, aber nicht klebrig oder kitschig darbieten können. Das macht die Ohren frei für den Rest der Kompositionen, die natürlicherweise nicht nur aus griffigen Melodien bestehen. Auch das ist eine Leistung von Sin, die an dieser Stelle erwähnt werden muss.
Shigeru Kawai-Botschafterin Anne-Sophie Desrez hebt den Daumen: Top!
„Es war ein großartiger Klavierabend voller musikalischer Genuss mit dem hochtalentierten Pianisten Dmitry Sin. Er hatte sich für ein anspruchsvolles Programm entschieden und die Messlatte hoch gelegt – und hat in jeder Beziehung überzeugt“ schwärmte nach dem Konzert Anne-Sophie Desrez, Markenbotschafterin von Shigeru Kawai. Und weiter: “Seine Interpretation der Davidbündler-Tänze op. 6 hat mich durch seinen besonderen Klang fasziniert. Es gelang ihm die Balance zwischen den stürmische-ungeduldigen und den zart-lyrischen Stücken sehr gut und es hat wunderschön auf dem Shigeru Kawai Flügel geklungen”. Aber auch die Interpretation der anderen vorgetragenen Werke fanden ihr höchstes Gefallen: “Zum exquisiten Hörerlebnis gehörte auch „La Valse für Klavier“ von Ravel. Bei Dmitry Sim wirkte musiziert alles frei und spontan. Das Finale mit der ersten Klaviersonate von Rachmaninow war ebenfalls großartig. Ich habe gesehen, wie das Publikum seinen Vortrag atemlos verfolgte und mit begeistertem Applaus würdigte”.
Text von Cetin Yaman
Auch den Herren Diplomaten in Hamburg gefiel das Konzert außerordentlich gut: Sungbao Jin, Stellvertretender Generalkonsul von China, und Kourosh Pourkian, Honorarkonsul von Tadschikistan. Foto: Cetin Yaman Sie kommen beide aus der darstellenden Kunst, können aber auch sehr viel mit Musik anfangen: die in Hamburg lebenden Malerinnen Maria Summer Sormani (li.) und Yana Bezvershuk-Bondarenko. Foto: Cetin Yaman Zeigten sich sehr angetan von den Klavierspielkünsten von Dmitry Sin: Klassik-Fans Alara Gothe, Seda Bi und Jerfi Hein. Foto: Cetin Yaman