Die Frage nach dem 2. Kind – Zwischen Herz, Verstand und gesellschaftlichen Erwartungen
Vielleicht erinnert sich der oder die ein oder andere Leser:in sogar noch an diesen Titel? Ein Thema, welches viele umzutreiben scheint, denn dieser Artikel war bisher einer meiner meist gelesenen Kolumnen und auch der Artikel, mit der größten Resonanz und dem größten Zuspruch.
Grund genug, diesem bewegenden Thema einen zweiten Artikel zu widmen, denn auch heute, 2 Jahre nach der ersten Version, ist sie immer noch da. Diese Frage, die wie ein unsichtbarer Begleiter im Raum steht, mal leise flüsternd, mal laut klopfend: „Und? Wann kommt das zweite Kind? Euer Sohn wird ja schon 5, ist denn kein Geschwisterkind geplant? Der Abstand wird ja immer größer, müsstet ihr nicht langsam mal nachlegen?“
Früher kam sie von wohlmeinenden Verwandten, heute sind es Freunde, Kollegen, manchmal sogar Fremde auf dem Spielplatz, die – kaum hat sich das erste Kind aus der Babyphase herausgewachsen – neugierig nachhaken. Als gäbe es eine unausgesprochene Regel: Erst eins, dann zwei, vielleicht noch mehr. Aber ist das wirklich so einfach?
Interessanterweise scheint es eine magische Zahl zu geben, wenn es um Kinder geht: Zwei.
Ein Kind? „Ach, das ist doch einsam. Einzelkinder sind doch immer ein bisschen egoistisch.“[Textumbruch]Drei oder vier? „Wow, das ist aber viel.“ Aber zwei? „Ja, das ist doch perfekt! Ein Junge und ein Mädchen wäre ideal, oder?“
Egal, wie man es macht – es scheint nie richtig zu sein. Und als Mutter (denn interessanterweise werden fast immer die Mütter gefragt) steht man ständig zwischen diesen unausgesprochenen gesellschaftlichen Normen, die bestimmen, was „richtig“ und „falsch“ ist.
Aber wer entscheidet das eigentlich? Wer bestimmt, dass eine Familie mit einem Kind unvollständig ist? Dass drei Kinder zu viel sind? Dass zwei Kinder das Ideal sein müssen?
Die Wahrheit ist doch: Die Entscheidung über Kinder ist so persönlich, so individuell, dass niemand außer den Eltern selbst darüber urteilen kann – oder sollte.
Mehr als eine Bauchentscheidung
Natürlich geht es bei der Frage nach einem zweiten Kind nicht nur um gesellschaftliche Erwartungen. Es gibt so viele Faktoren, die eine Rolle spielen: Gesundheitliche Gründe, finanzielle Möglichkeiten, die eigene mentale Belastbarkeit, die familiäre Unterstützung, das eigene Wohlbefinden. Die Entscheidung für ein zweites Kind ist oft komplexer, als es von außen scheint. Es geht um mehr als nur um Liebe – die ist meistens da, im Überfluss! Es geht um Energie, um Ressourcen, um körperliche Konstitution und um persönliche Grenzen.
Jede Familie hat ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Herausforderungen. Vielleicht war die erste Geburt traumatisch. Vielleicht hat die Mutter das Gefühl, gerade erst wieder ein Stück ihrer Unabhängigkeit zurückgewonnen zu haben. Vielleicht fühlt sich eine Familie mit einem Kind genau richtig an – oder mit dreien oder vieren.
Und vielleicht muss man sich selbst eingestehen: Ich liebe mein Kind über alles, aber ich weiß nicht, ob ich die Kraft für ein weiteres habe.Diese Gedanken sind genauso legitim wie die Sehnsucht nach einem zweiten, dritten oder vierten Kind.
Die einzige richtige Antwort
Die Frage nach dem zweiten Kind ist also keine einfache Ja-oder-Nein-Entscheidung. Es gibt kein „perfektes“ Modell für Familie, keinen Plan, den man einfach abarbeiten kann.
Deshalb wäre es vielleicht an der Zeit, die ewige Frage nach dem zweiten, dritten oder vierten Kind ein für alle Mal loszulassen – aus Rücksicht gegenüber Gefühlen und zur Wahrung der ganz persönlichen Grenze einer jeden Frau. Denn am Ende gibt es nur eine Antwort, die wirklich zählt: die, die für die eigene Familie richtig ist. Und die sollte niemand beurteilen oder bewerten – außer die Menschen, die sie betrifft und die sie leben!
Und genau das sollte „normal“ sein: Glücklich zu sein mit einem Kind. Oder mit zweien. Oder mit dreien oder auch mit keinem. Ohne Druck, ohne gesellschaftliche Erwartungen, ohne diese ewige Frage, die suggeriert, dass Familie nur in einer bestimmten Form vollständig ist.
X Ann-Kathrin Hellge