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November – Wenn die Welt kurz den Atem anhält
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November – Wenn die Welt kurz den Atem anhält

von CityGlow

Der November hat ein Imageproblem. Mal ehrlich – wer sagt schon: „Ach, ich liebe den November!“?

Niemand. Er ist der stille Bruder zwischen den Jahreszeiten. Nicht golden wie der Oktober, nicht glitzernd wie der Dezember. Ein Monat ohne Glamour. Grau. Nass. Ehrlich.

Aber vielleicht ist genau das sein Zauber.

Denn der November zwingt uns, stehen zu bleiben. Während das Jahr draußen langsam zu Ende geht, fängt in uns drinnen etwas Neues an. Und es geht um Vergänglichkeit. Muss die nicht auch sein, damit uns das alles mal wieder bewusst wird?

Wenn der Nebel kommt, wird’s still

Ich mag diesen Moment, wenn der Nebel morgens über den Feldern hängt und die Welt aussieht, als hätte sie beschlossen, einfach mal die Lautstärke runterzudrehen.

Früher – auf dem Dorf – bin ich im November immer mit dem Fahrrad zur Schule gefahren.

Drei Kilometer. Erst Landstraße, Nebel manchmal so dicht, dass man kaum die Hand vor Augen sah, und ein Rücklicht, das gefühlt nie richtig funktionierte. Meine beste Freundin rief jedes Mal hinter: „Pass auf, dass dich keiner umfährt! Aber ich bin da und gebe dir Rückendeckung.“

Es war morgens im November auf dem Rad immer so still. Kein Vogel, kein Auto, kein Mensch. Nur dieses feuchte, graue Tuch über uns zwei Mädels mit den Rädern.

Und manchmal, wenn wir an der Ampel anhalten mussten, hörte ich nur meinen Atem und das Tropfen der Bäume. Damals fand ich das auch etwas gruselig. Heute finde ich es magisch.

Denn im November ist die Welt endlich mal nicht laut. Keine Sommerpartys, keine Grillfeste, keine Verpflichtungen. Nur man selbst, ein bisschen Melancholie – und der Duft von nasser Erde.

Laternen, Lichter und leise Wärme

Der November war als Kind trotzdem schön – weil er voller kleiner Rituale steckte.

Laternenumzüge zum Beispiel. Ich war stolz auf meine Laterne wie auf einen Pokal. Selbstgebastelt aus Transparentpapier und Draht, meistens schief, oft mit Wachs klebrig und garantiert nicht wetterfest.

Aber wenn ich da stand, eingemummelt in meine viel zu große Jacke, und die Laterne leuchtete im Dunkeln – da fühlte sich die Welt für einen Moment friedlich an.

Und dann diese Lichter!

Kerzen überall – auf Friedhöfen, in Fenstern, auf Tischen.

Ich erinnere mich an den Geruch von Wachs und an meine Oma, die immer sagte:

„Auch aus Rüben kann man einen Kürbis basteln.“

Damals klang das poetisch – heute weiß ich, dass sie Rüben schon nach dem Krieg aushalte und mit Gesichtern verzierte. Kürbisse zu Halloween ist doch was für Anfänger!

Der Monat, der uns erdet

Im November wird die Welt ehrlicher. Die Blätter sind gefallen, der Himmel ist grau, die Natur zieht sich zurück. Und irgendwie tun wir das auch.

Es ist kein Monat zum Beeindrucken. Kein Monat für Hochglanz-Postings oder To-do-Listen. Es ist der Monat für dicke Socken, Kerzen, Tagebuchseiten.

Ich merke jedes Jahr, wie der November mich entschleunigt. Ich höre wieder Musik, nicht nur als Hintergrund. Ich telefoniere länger. Ich koche einfache Dinge – Eintöpfe, Suppen, Gerichte, die nach Zuhause schmecken. Und ich denke mehr nach. Über das Jahr. Über das, was war. Über das, was nicht mehr kommt.

Ein Spaziergang auf dem Friedhof

Ich weiß, das klingt düster – aber für mich gehört das zum November dazu.

An Allerheiligen oder Totensonntag mit meinem Mann auf den Friedhof gehen.

Es ist kein trauriger Moment.

Eher ein stiller.

Einer, der daran erinnert, dass alles endlich ist – und dass das okay ist.

Ich mag diese Ehrlichkeit.

Der November versteckt nichts. Er schminkt nichts schön. Er ist, wie er ist – roh, feucht, echt. Vielleicht sollten wir das öfter sein.

Die erste Kerze, die erste Ruhe

Und dann – ganz plötzlich – kommt sie: die erste Kerze im Adventskranz.

Noch keine Weihnachtsmusik, noch kein Glitzer, nur dieses leise: Jetzt geht’s langsam los.

Ich erinnere mich an einen Novemberabend vor ein paar Jahren. Ich war krank, lag mit einer Wärmflasche auf dem Sofa, draußen prasselte Regen gegen die Scheiben. Ich machte eine Kerze an – einfach so. Keine große Geste.

Und plötzlich roch der Raum nach Wachs und Vanille, und ich hatte dieses seltsame, tiefe Gefühl von Frieden.

Kein Adrenalin, kein Optimismus, kein „jetzt wird alles besser“.

Einfach nur: Es ist gut. So wie es ist.

Fazit: Der November ist kein Ende – er ist die Pause dazwischen

Er ist der Moment, in dem man den Atem anhält, bevor man das nächste Kapitel aufschlägt.

Er ist leise, ja – aber nicht leer.

Er ist traurig, manchmal – aber nie trostlos.

Im November lernt man, dass Dunkelheit nicht bedrohlich ist, sondern notwendig.

Dass Stille heilt. Und dass man nicht jeden Tag glänzen muss, um zu leuchten.

Also ziehen Sie die dicke Jacke an. Machen Sie das Licht ein bisschen wärmer.

Und wenn der Wind draußen gegen die Fenster pfeift, dann lassen Sie ihn ruhig.

Der November pustet nur den Rest des Jahres aus den Gedanken –

damit Platz wird für Neues.

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